Der Azteke
des Feuers gerade noch eben zu vernehmen und unangenehmer anzuhören war als das laute Schreien zuvor. Als wir Zuschauer wieder einen Blick auf die Männer in den Flammen erhaschten, waren sie über und über schwarz und verschrumpelt, doch irgendwie innerhalb dieser Kruste lebten sie noch, und einer oder auch mehrere von ihnen fuhren fort, unmenschlich winselnd zu wehklagen. Zuletzt fraßen die Flammen sich unter ihre Haut und ihr Fleisch und nagten an den Muskeln, was die Muskeln dazu brachte, sich auf absonderliche Weise zusammenzuziehen, so daß die Körper der Männer sich verkrampften. Ihre Arme klappten an den Ellbogen zusammen; ihre Hände mit den zusammengeschmolzenen Fingern hoben sich vor ihr Gesicht oder dorthin, wo ihr Gesicht gewesen war. Was von ihren Beinen noch übriggeblieben war, zog sich an Knien und Hüften langsam zusammen; sie hoben sich vom Boden und preßten sich ihnen gegen den Bauch.
Als sie dort hingen und brieten, schrumpften sie auch, bis sie weder in der Größe noch im Aussehen mehr Männern glichen. Nur ihre verkrusteten und gesichtslosen Köpfe waren noch von Erwachsenengröße. Sonst sahen sie aus wie fünf Kinder, verkohlt und in jener Haltung zusammengekrümmt, in welcher Kinder häufig schlafen. Und wiewohl es kaum zu glauben war, daß in diesen bejammernswerten Wesen noch Leben herrschen sollte, ging das winselnde Wehklagen weiter – solange, bis ihre Köpfe platzten. Chapopotli getränktes Holz erzeugt, wenn es brennt, eine große Hitze, und diese Hitze muß das Hirn zum Kochen, Schäumen und Dampfen gebracht haben, bis der Schädel dem Druck von innen nicht mehr standhielt. Plötzlich ertönte ein Geräusch, als ob ein Tontopf in Scherben fiel, ertönte noch viermal und dann war nichts mehr zu hören außer dem Aufzischen einiger letzter Tropfen, welche von den Körpern ins Feuer fielen, und dem sanften Knacken, wenn Holz in ein Glutbett zusammenfällt.
Es dauerte sehr lange, bis die Ankerkette sich soweit wieder abgekühlt hatte, daß Cortés' Soldaten sie vom verkohlten Balken abnehmen konnten und fünf verschrumpelte Körper in die Glut fallen ließen, wo sie endgültig zu Asche verbrannten; woraufhin die Soldaten die Kette forttrugen, sie für künftige Gelegenheiten aufzubewahren, wiewohl es seither zu keinen Hinrichtungen dieser Art gekommen ist. Das war vor elf Jahren. Doch gerade voriges Jahr, als Cortés von seinem Besuch aus Spanien zurückkehrte, wo euer König Carlos ihn beförderte und ihn zum Marqués de Valle machte, entwarf Cortés höchstpersönlich sein neues Adelswappen. Dieses Wappenschild ist jetzt überall zu sehen: Es ist ein Schild mit verschiedenen Symbolen darin, und der Schild wird umringt von einer Kette, und in den Kettengliedern dieser Kette stecken fünf Menschenköpfe. Cortés hätte auch andere Triumphe wählen können, sich zu verewigen, doch er wußte sehr wohl, daß das Ende des tapferen Cuaupopóca den Beginn der Eroberung Der Einen Welt darstellte.
Da die Hinrichtung von den weißen Fremden verfügt und vorgenommen worden war, denen eine solche Autorität eigentlich nicht zustand, verursachte dies zitternde Befürchtungen und Unruhe in der Bevölkerung. Doch das, was dann geschah, kam womöglich noch unerwarteter, war noch unglaublicher und verwirrender; Motecuzóma verkündete nämlich öffentlich, er ziehe aus seinem eigenen Palast aus und werde eine Zeitlang unter den weißen Männern leben.
Die Bürger von Tenochtítlan strömten auf Dem Herzen Der Einen Welt zusammen und sahen steinernen Gesichts zu, wie ihr Verehrter Sprecher gemächlich Arm in Arm mit Cortés offenbar ohne jeden Zwang und ohne sichtbare Gewaltanwendung über den Platz hinwegschritt und den Palast seines Vaters Axayácatl betrat, jenen Palast, welcher den fremden Besuchern als Wohnung zugewiesen worden war. In den folgenden Tagen herrschte auf dem Großen Platz ein ständiges Kommen und Gehen, als die spanischen Soldaten Motecuzómas Trägern und Sklaven halfen, seinen gesamten Hof von einem Palast in den anderen zu schaffen: Motecuzómas Frauen und Kinder, samt ihren Dienern, ihrer Garderobe und der Einrichtung aller ihrer Kammern, die Ausstattung des Thronsaals, Bibliotheken, der Aufstellungen des Schatzamtes, kurz, alles, was dazugehört, um die Hofhaltung zu gewährleisten.
Unsere Leute konnten nicht verstehen, warum ihr Verehrter Sprecher Gast seiner eigenen Gäste werden sollte oder, was auf dasselbe hinauslief, ein Gefangener seiner eigenen Gefangenen.
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