Der Azteke
liegt.«
Das klang vielversprechend, ich sah jedoch einen kleinen Trugschluß darin und lächelte über meinen eigenen Scharfsinn. »Gewiß wartet mein Leben auf mich, gleichgültig, in welche Richtung ich mich wende und ob ich allein gehe oder nicht.«
Der Kakaomann lächelte gleichfalls, allerdings ironisch. »Richtig, in deinem Alter warten viele Lebenswege. Gehe, wohin es dir beliebt. Geh allein oder in Begleitung. Deine Gefährten können eine lange oder eine kurze Strecke Wegs gemeinsam mit dir zurücklegen. Aber am Ende deines Lebens wirst du gelernt haben, was alle lernen müssen – gleichgültig, wie bevölkert die Wege und Tage deines Daseins gewesen sein mögen. Und dann wird es zu spät sein, noch einmal von vorn anzufangen, zu spät für alles, außer für Bedauern. Deshalb erfahre es jetzt. Kein Mensch hat bis jetzt jemals mehr als ein Leben gelebt, jenes, das er sich selbst ausgesucht hat, und das den größten Teil dieses Lebens über allein.« Er sprach nicht weiter, sein Blick hielt den meinen gebannt. »Also, Mixtli – welchen Weg schlägst du nun von dieser Stelle aus ein? Und in Gesellschaft von wem?«
Ich drehte mich um und stieg den Hügel weiter hinan – allein.
IHS
S.C.C.M.
SEINER ALLERKATHOLISCHSTEN MAJESTÄT, KAISER KARL V., UNSEREM ALLERDURCHLAUCHTIGSTEN KÖNIG UND HERRN:
Allertugendhafteste Majestät, unser Weiser Monarch: aus der Stadt Mexíco, Hauptstadt Neuspaniens, entbieten wir Euch am Fest der Beschneidung im Jahre des Herrn eintausendfünfhundertundneunundzwanzig unseren alleruntertänigsten Gruß.
Schweren Herzens, doch mit gehorsamer Hand, sendet Euer ergebener Kaplan Eurer Kaiserlichen Majestät wie befohlen ein weiteres Konvolut der von unserem immer noch bei uns weilenden Azteken – oder Asmodeus, als welchen ihn zu betrachten Euer Majestät Diener mehr und mehr geneigt ist – diktierten Niederschrift.
Welchselbiger Gottesmann Verständnis hat für Euer Majestät ironischen Kommentar, die Chronik besagten Indianers sei »bei weitem aufschlußreicher als sämtliche Fanfarronadas, die Wir unablässig von dem neu ernannten Marqués, dem Señor Cortés selber, zu hören bekommen, welcher Uns augenblicklich mit seiner Anwesenheit bei Hofe beehrt«. Und selbst ein sorgengebeugter und verdrossener Bischof versteht Euer Majestät vielsagenden Scherz, wenn Ihr schreibt, daß »die Mitteilungen des Indianers die ersten aus Neuspanien überhaupt sind, mit denen nicht versucht wird, Uns einen Titel, umfangreiche Ländereien in der Neuen Welt, oder ein Darlehen abzuschwatzen«.
Gleichwohl, Sire, sträuben sich uns vor Entsetzen die Haare, wenn Ihr schreibt, daß Eure Erhabene Majestät und Eure Hofleute »völlig hingerissen und gebannt lauschen, wenn aus diesen Seiten laut vorgelesen wird«. Wir sind überzeugt, daß wir unsere Pflichten und Aufgaben als Untertan Eurer Allererhabensten Majestät keineswegs auf die leichte Schulter nehmen, doch unsere heiligen Gelübde verpflichten uns, mit allem gebotenen Ernst und ex officio et de fides davor zu warnen, diese verruchte Geschichte unterschiedslos weiterhin zu verbreiten.
Euer Scharfsinnigen Majestät kann keineswegs entgangen sein, daß in den vorhergehenden Sendungen so abscheuliche Sünden zur Sprache gekommen sind als da sind: Totschlag, Abtreibung der Leibesfrucht, Handanlegen an sich selbst, Menschenfresserei, Inzest, Hurerei, Folter, Götzendienst und Verstoß gegen das Gebot Vater und Mutter zu ehren – und das alles völlig gleichmütig, ohne jede Reue und Zerknirschung. Wenn, wie es heißt, Sünden Wunden der Seele sind, muß dieses Indianers Seele aus jeder Pore bluten.
Falls jedoch die hintersinnigeren Anspielungen besagten Indianers der Aufmerksamkeit Eurer Majestät entgangen sein sollten, gestattet uns, darauf hinzuweisen, daß dieser sonderliche Azteke die Stirn gehabt hat anzudeuten, sein Volk rühme sich einer höchst vagen direkten Abstammung von einem Ersten Götterpaar auf Erden, welchselbiges nur als heidnische Parodie auf Adam und Eva aufzufassen ist. Des weiteren deutete er an, wir Christen selbst seien götzendienerisch in Hinblick auf einen ganzen Pantheon, welcher vergleichbar sei der brodelnden Dämonenschar, die sein Volk anbetete. Nicht minder gotteslästerlich hat er angedeutet, daß so hochheilige Sakramente wie die Taufe und die Absolution durch die Beichte, ja, selbst das Tischgebet bereits vor und unabhängig von jedem Wissen um Unseren Herrn und die Einsetzung der Heiligen Sakramente
Weitere Kostenlose Bücher