Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
bei vollem Bewußtsein. Sein Körper, so Bubeck, habe »wie ein einziges Wundmal ausgesehen, von oben bis unten rot und schwarz verbrannt. Die Haare: weggesengt. Das Gesicht: verkohlt. Die Hände und Finger: in allen Farben schillernd und dick geschwollen.« Nur die Augen in den Höhlen seien ihm noch lebendig vorgekommen.
Plötzlich hätten sich Hausners Augen unruhig bewegt. Eine Krankenschwester hielt dem Verbrannten ein »Verordnungsblatt« der Klinik und einen Stift hin. Hausner quetschte sich den Stift zwischen die aufgequollenen, kaum noch beweglichen Finger und schrieb: »Mein Hals kratzt – ich bin Alkoholiker! Ich denke, daß ich mir von Rauch + Hitze eine Halsschleimhaut gekratzt habe. 1 . absaugen 2 . gurgeln 3 . ¼ oder ½ Liter Milch, um den Schluckmechanismus aufrechtzuerhalten.« Das Blatt glitt ihm aus der Hand. Er griff es noch einmal und schrieb: »Schluck Tee oder Wasser ginge auch.«
Hausner erhielt etwas zu trinken. Der Zettel flog in den Papierkorb, Bubeck holte ihn wieder heraus, glättete ihn und steckte ihn ein.
Als Hausner am 5 . Mai an einem Lungenödem starb, sagten die Gefangenen im siebten Stock zu den Vollzugsbeamten: »Na, habt ihr ihn jetzt vollends umgebracht?«
Der Sprengstoff in der Botschaft, das ergaben polizeiliche Untersuchungen, war von den Besetzern wohl versehentlich gezündet worden.
Einer der Beteiligten erklärte später, definitiv habe keiner aus dem »Kommando« die Explosion der Sprengladung absichtlich oder versehentlich ausgelöst. Es sei ihm bis heute rätselhaft, wie es zur Detonation kam.
Am Nachmittag hatte sich Peter-Jürgen Boock mit zwei anderen Vertretern aus der Unterstützerszene in einer Kölner Hochhauswohnung getroffen. Das Appartement lag nicht weit vom Bundesamt für Verfassungsschutz entfernt. Sie hatten die Fernseher eingeschaltet, um die Berichterstattung über den Stockholmer Botschaftsanschlag zu verfolgen. Bei den ersten Meldungen waren alle drei davon überzeugt, daß nicht die RAF dahintersteckte. Doch schon nach wenigen Minuten mußten sie ihre Meinung ändern.
»Leute, das geht schief«, sagte Boock. »Das war ein großer Fehler. Man darf sich nicht an einem Ort festsetzen. Und im übrigen: So kurz nach der Berliner Geschichte können die nicht wieder nachgeben. Da verlieren die ja völlig das Gesicht.«
Ein umstelltes Gebäude würde sich geradezu für eine Erstürmung von außen anbieten. Da könnte sich die Polizei Zeitpunkt und Art des Zuschlagens förmlich aussuchen. Einer hielt dagegen: »Die haben sich das vorher auch überlegt.«
»Wenn das die RAF ist«, sagte Boock, »wenn das die Art der Aktionen ist, liebe Leute, dann ohne mich.«
Als noch ein paar weitere Genossen dazustießen und mehrheitlich Boocks Ansicht waren, beschlossen sie, einen Brandbrief an die Gefangenen in Stammheim zu schreiben. Sie fänden es völlig unverständlich, wie eine Aktion so angegangen werden könne. Man hätte sich an einem Finger ausrechnen können, wie das ausgehen würde. Sie seien zwar nach wie vor gewillt, eine Befreiungsaktion zu machen, würden sich aber keinesfalls von den Gefangenen vorschreiben lassen, auf welche Weise.
Die Stammheimer antworteten bitterböse. Wie man denn darauf komme, daß die Gefangenen die Zielpunkte für Aktionen vorschreiben würden? Guerilla sei immer autonom. Sie könnten aus dem Gefängnis heraus nicht einmal Tips geben, was politisch besonderes Gewicht hätte. Sie könnten auch nicht beurteilen, worin die Stärken oder Schwächen einer Gruppe lägen. Dann eine kleine Drohung: Niemand würde sie zwingen, sich als RAF zu fühlen oder zu definieren.
Boock und die übrigen verstanden es so, wie es gemeint war: Wenn ihr euch RAF nennen wollt, dann habt ihr nach unseren Anweisungen zu handeln.
Ursprünglich hatte Peter-Jürgen Boock vermutet, er und seine Gruppe seien nach dem Desaster von Stockholm die letzten Illegalen aus dem RAF -Umfeld. Erst später erfuhr er, daß Mitglieder des Stockholm-Kommandos nicht nur überlebt hatten, sondern auch unentdeckt entkommen waren. So hatte etwa Stefan Wisniewski 200 Meter von der Botschaft entfernt im Gebüsch eines Parks gelegen und den Besetzern über ein Funksprechgerät geschildert, was draußen lief. Das Abschottungsprinzip, nach dem es verschiedene Gruppen geben sollte, die nichts voneinander wußten, hatte funktioniert.
26. Abhörmaßnahmen
Auch die Behörden vermuteten, daß es Verbindungen nach draußen gab, und beschlossen, die
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