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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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Die Terroristen wußten, daß der Staat im Zweifel der Forderung nicht nachgeben würde. Das hat dazu geführt, daß es zwar Mordanschläge noch gegeben hat, aber keine Entführungen mehr.«
    Friedrich Zimmermann, CSU , früherer Bundesinnenminister: »Wir haben Maßstäbe gesetzt, die für uns selber galten, und ich möchte niemandem wünschen, an der Stelle eines damals Verantwortlichen gewesen zu sein.«
    Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte später: »Und wir sahen uns unauflöslich verstrickt in diese grauenhaften Ereignisse. Das ist eine Situation, in der keine Entscheidung ausschließlich richtig ist. Es ist wie in der griechischen Tragödie. Sie sind verstrickt und können sich aus der Schuld nicht befreien.«
     
    Deutschland – im Herbst 1977 : Es war das vorläufige Ende eines Alptraumes von Gewalt. Die Namen Baader, Meinhof und Ensslin gingen ein in die deutsche Nachkriegsgeschichte. Wie viele in ihrer Generation waren sie angetreten gegen den alten und den angeblichen neuen Faschismus. Mit Gewalt hatten sie diese tötende Welt zu verändern gesucht, hatten sich selbst zu Herren über Leben und Tod gemacht und waren schuldig geworden wie viele aus der Generation ihrer Väter. Manche aus der RAF sahen das ein. Andere tun das bis heute nicht. Für sie wurden die Gründer der RAF zu Märtyrern.
    Als Trauergäste und Demonstranten den Stuttgarter Waldfriedhof verließen, wurden Personalien registriert. Mit über den Kopf erhobenen Händen gingen manche durch das Spalier der Polizisten. Niemand hatte sie zu dieser Geste der Unterwerfung aufgefordert. Es war eine Demonstration.

50. Zeit der Mythen
    »Stadtguerilla zielt darauf, den staatlichen Herrschaftsapparat an einzelnen Punkten zu destruieren, stellenweise außer Kraft zu setzen, den Mythos von der Allgegenwart des Systems und seiner Unverletzlichkeit zu zerstören.«
    Das hatte die RAF in ihrem »Konzept Stadtguerilla« geschrieben.
    Sieben Jahre nach ihrem Sprung in den Untergrund war die »Allgegenwart des Systems« kein Mythos mehr, sondern täglich erfahrbare Realität: Rasterfahndung, Beobachtende Fahndung, die Computersysteme PIOS , Nadis, Inpol; mehr Geld, mehr Planstellen, bessere Ausrüstung für Polizei, Verfassungsschutz, Bundesgrenzschutz; neue Gesetze, befestigte Gerichtssäle, Hochsicherheitstrakte …
    Am Ende hatten sie die totale »Allgegenwart des Systems« am eigenen Leib zu spüren bekommen – während der Kontaktsperre. Da hatten sie nur noch »System« um sich herum, in Form von Wärtern, Gittern, Beton. Im Gefängnis erlebten sie das »Schweinesystem« so, wie es vorher in Freiheit nur in ihren Köpfen existiert hatte.
    Sie hatten sich und ihre Lage mit der Situation von Häftlingen in Konzentrationslagern verglichen. »Unterschied toter Trakt und Isolation: Auschwitz zu Buchenwald«, schrieb Gudrun Ensslin.
    Sie hatten die Welt eingeteilt:
    »Entweder Schwein oder Mensch
    Entweder überleben um jeden Preis
    oder Kampf bis zum Tod
    Entweder Problem oder Lösung
    Dazwischen gibt es nichts.«
    In diesem Weltbild wurden neue Gleichungen aufgemacht. »Mord gleich Selbstmord gleich Mord« hatten 1971 Mitglieder des »Sozialistischen Patientenkollektivs« an Häuserwände gesprüht. Die gleiche Losung riefen Sympathisanten 1976 nach dem Tod von Ulrike Meinhof.
    In ihrer Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuß, der die Todesumstände in Stammheim aufklären sollte, fragte ein Abgeordneter die einzige Überlebende, Irmgard Möller: »Unterstellt man, daß Sie so lange hungern, bis Sie zu Tode kommen, nennen Sie so etwas Selbstmord?«
    Zeugin Möller: »Niemals.«
    Abgeordneter: »Und warum nicht? Wie nennen Sie das dann?«
    Zeugin Möller: »Das ist Mord, eindeutig.«
    Abgeordneter: »Ja, Frau Möller, unterstellen wir einmal, bei einem Hungerstreik, den Sie durchführen, würde eine Zwangsernährung nicht durchgeführt, und Sie würden zu Tode kommen. Würden Sie das als Selbstmord bezeichnen, oder wäre das nach Ihrem Vokabular auch Mord?«
    Zeugin Möller: »Was heißt ›nach meinem Vokabular‹? Nach den Tatsachen.«
    Abgeordneter: »Nach den Tatsachen wäre das auch Mord.«
    Zeugin Möller: »Das ist die Verantwortung.«
    Abgeordneter: »Wie wäre denn das, Frau Möller, wenn ich weiter fragen darf, wenn ein Gefangener, der vielleicht jahrelang in einer Einzelzelle ist, wenn der mit einer Pistole sich selbst erschießen würde? Würden Sie das Selbstmord oder Mord nennen?«
    Zeugin Möller: »Das ist eine sehr provokatorische,

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