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Der Bademeister: Roman (German Edition)

Der Bademeister: Roman (German Edition)

Titel: Der Bademeister: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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genau erinnern, aber die Namen wollte ich nie kennen. Die Badegäste haben ein Recht darauf, namenlos zu schwimmen und zu gehen; wer sie sonst sind, geht mich nichts an. Vergangenheiten haben unabsehbare Folgen, die wirklichen Vergangenheiten wie die falschen. Wegen der Vergangenheit meines Vaters durfte ich nicht studieren, und seine Vergangenheit war der Grund, mich schuldig zu sprechen. Nachforschen, haben sie mir gesagt, bei Ihrer Familie sollten Sie das verstehen. Doch ich wusste nicht, was mein Vater getan hat, und sie haben es mir nicht gesagt. Ich hatte ihn nie gefragt, weder ich noch meine Mutter, und was sie wusste, wollte sie mir nicht erzählen. Er hat sich aufgehängt. Seine Bekannten blieben unbehelligt, besuchten meine Mutter, behaupteten, man habe ihm Unrecht zugefügt, er habe nur getan, was ihm befohlen wurde, an seinen guten Absichten dürfe keiner zweifeln. Er sei ein guter Mensch gewesen, sagten seine Bekannten zu meiner Mutter, kamen noch einige Monate nach seinem Tod zu ihr und blieben schließlich weg.
    Man weiß nicht, was aus einer Vergangenheit werden kann, wenn man nicht weiß, ob es die richtige Vergangenheit ist, wenn es darauf nicht ankommt, wenn im Geflecht von Absichten eine Vergangenheit verschwindet, eine andere erfunden wird. Zu Hause sollte darüber nicht gesprochen werden, er war im Krieg, antwortete meine Mutter auf meine Fragen und zeigte auf das Foto. Du siehst doch, dass er eine Uniform trägt.
    Von mir wollte man in der Schule wissen, was er getan hatte, und glaubte nicht, dass ich nichts wusste. Zu meinem Besten müsse ich antworten, sagte man mir und drohte, dass ich nicht studieren dürfe. Mit der Vergangenheit meines Vaters sollte ich mich freikaufen, aber ich wusste nicht, wie, und dass ich es nicht tat, fügte sich ins Bild. Das Bild war blind, ich wurde bestraft für meines Vaters Vergangenheit, es war ein blindes Spiel, denn er hatte sich mit seinem Tod entzogen, verhindert, dass ich erfuhr, was er getan hatte. Ich wusste, dass mich keine Schuld traf und dass mir das nichts half. Seine Vergangenheit traf mich, obwohl ich sie nicht kannte, und es gab nichts, was mich freisprach. Dass meine Mutter mir verbot, von Vater zu sprechen, war überflüssig, da ich nichts wusste, nicht wagte, mir eine Geschichte auszudenken, damit man mich nicht länger fragte.
    Ich machte Abitur, das Fragen in der Schule hörte damit auf, aber im Schwimmbad fing es wieder an; ob ich die Badegäste kenne, wollte man wissen, ob ich gehört hätte, was sie miteinander sprechen.
    Hören Sie? Ich wollte nie etwas erzählen, und über mich gibt es so wenig zu berichten wie über meinen Vater. Wenn nichts geschieht, gibt es keine Vergangenheit. Keiner ist ertrunken, und keiner kann mich dazu zwingen, eine Geschichte und Vergangenheit zu haben.
    Das Volks- und Schwimmbad ist ein altes Gebäude, die Leute sind hierhergekommen, um sich zu baden oder um zu schwimmen, die Mauern des Schwimmbads, dachte ich, sind stark genug, verbergen, was geschehen ist, was nicht, die Tage verlaufen gleichmäßig zu leeren Jahren, Gesichter, Körper tauchen in das Wasser und tauchen wieder auf und gehen, Umrisse ohne Namen, Bewegungen im Wasser, das immer gleich bleibt, auch dieses Gebäude, dachte ich, würde sich nie verändern, und hier könnte ich bleiben bis zum Schluss.
    Doch waren es keine Mauern gewesen. Ich sah die aufgeplatzte Wand, das rostige Eisengestänge, hörte das Knistern der Plastikfolie, mit den anderen ging ich in die Kneipe, Klaus brachte mich nach Hause, und plötzlich sah ich meine Füße, darunter den Bürgersteig, die großen, unregelmäßigen Steinplatten, die auseinanderklafften, wusste den Weg nicht, ging auf Klaus gestützt, sah mit eigenen Augen mein Leben, die wenigen Meter zwischen dem Schwimmbad und der Wohnung, und begriff, dass sie mich wegjagen würden.

    Wie andere stumm verkommen, habe ich gesehen, stumm auf der Straße und unten in der U-Bahn sitzen, zuerst bemerkt man die alten Kleider, die an ihrem Körper hängen, als wäre der Körper schon nicht mehr da, bis er dann endlich liegen bleibt auf dem Asphalt, Körper und Kleider schon nicht mehr zu unterscheiden, und rasch sind die Straßen wieder glatt und sauber. Sie hinterlassen keine Spuren und keinen Abdruck, wie ein Schwimmer, der das Wasser verlässt, und keiner fragt danach, was hätte geschehen können, da nichts passiert ist, und keiner sagt ein Wort. Im Schwimmbad reihten gleichförmige Tage sich aneinander, als wäre

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