Der Bademeister: Roman (German Edition)
links, huschen vorbei wie Schatten oder stehen starr am Beckenrand und hören nicht, wenn ich sie rufe. Man kann die Stille nicht ertragen. Meinen Vater habe ich selbst abgeschnitten, wer sonst hätte es tun sollen? Ich konnte ihn nicht retten, wollte es nicht, aber ertrunken ist mir keiner. Hier war es meistens laut, es kamen viele Kinder, die planschten, schrien, stritten, auch die Erwachsenen redeten laut und riefen über das Wasser einer dem anderen etwas zu. Fast immer waren Leute da. Ich dachte, kein Toter würde hierher finden. Aber die Toten sind doch hier, stehen am Beckenrand und wissen, dass sie nicht willkommen sind. Wenn das Gebäude abgerissen wird, erinnert sich niemand mehr an sie oder an das, was hier geschehen ist. Der alte Bademeister hatte einen Vorgänger, ich bin der dritte Bademeister hier. Das Volksbad ist geschlossen, und mich hat man entlassen. Der alte Bademeister ist längst verschwunden. Sie haben ihn weggeholt. Erst dachte ich, er sei verrückt geworden, aber inzwischen weiß ich, er hatte recht. Nur ein paar Straßen weiter steht ein Wasserturm, in dem sie Leute umgebracht haben. Es ist dort eine Tafel angebracht, und jeder kann sie lesen. Mit dem Wasserturm war es gleich nach dem Krieg vorbei. Das Volksbad haben sie bald wieder benutzt. Seit hundert Jahren fast ist es ein Volks- und Schwimmbad. Die Leute sind immer hierhergekommen. Bekannte meines Vaters habe ich hier gesehen. Sie sind inzwischen tot. Dass ich sie kenne, hat mir keiner angemerkt. Ich habe mit niemandem gesprochen. Zu der Beerdigung meines Vaters bin ich nicht gegangen. Als meine Mutter nach Hause kam, schrie sie mich an, ich solle nicht vergessen, dass man ihm unter anderen Umständen ein Staatsbegräbnis ausgerichtet hätte. Die Umstände hatten sich geändert. Sie haben sich noch einmal geändert. Er ist ein Spitzel, sagte Klaus vom Hausmeister, als hätte er ihn früher schon gekannt. Ich habe damit nichts zu tun.
Ich habe nur darauf geachtet, dass die Regeln eingehalten werden. Was auf den Schildern hier geschrieben steht, beschränkt sich auf wenige Anweisungen, die keiner missverstehen kann. Früher gab es noch andere Schilder, der Hausmeister hat sie aus Frau Karpfes Büro herausgetragen: Juden unerwünscht! stand darauf, und er stellte sie grinsend in die Eingangshalle. Am Abend habe ich sie weggetan. Sie stehen noch immer in der kleinen Abstellkammer. Von mir ist kein Badegast abgewiesen worden. Ich kannte ihre Namen nicht und wollte sie nicht kennen. Die Badegäste kommen, schwimmen, und der Bademeister achtet darauf, dass sie nicht untergehen. Woher sie kommen, ist ihm egal.
Wenn sie schwimmen, sieht man es ihnen an: den ganzen Tag herumgehetzt, kommen von zu Hause oder von der Arbeit, sie geben sich zufrieden oder nicht, holen im Wasser mit ihren Armen aus wie im Streit, strecken die Hände aus zu einer Umarmung, atmen langsam, als hörten sie noch immer eine aufgebrachte Stimme, ducken sich noch im Wasser oder schwimmen schnell, als müsste der Beckenrand zurückweichen, ein anderes Gesicht wird alt vor Traurigkeit, Satzfetzen hört man, kaputt das Fenster, ein Freund seit Wochen krank, und täglich wieder Hoffnung, eine Mutter ohrfeigt ihr Kind, ein Kind prügelt sich mit einem anderen, zu eng die Wohnung, und finden keine neue, steigen aus dem Wasser, trocknen sich ab, Handtücher ordentlich über den Arm gehängt oder zerknüllt wie ein Papier, ziehen sich wieder an und gehen. Gegen Abend hörte ich die Stimme von Frau Karpfe, bevor sie ging, immer ein bisschen vor der Zeit, hörte das Gelächter des Hausmeisters in der Eingangshalle, bevor sich alle auf den Weg nach Hause machten, es stiller wurde, nur bei den Wannenbädern blieb noch einer, der Heizer war noch da, und ich. Eine Aushilfe saß noch an der Kasse, zählte das Geld und ließ die letzten Badegäste hinaus und niemanden mehr herein, das Plätschern des aufgestöberten Wassers wurde schwächer, aus den Brausbädern hörte man noch eine Dusche, dann leises Hantieren in den Umkleidekabinen, Guten Abend, die letzten Schritte im Gang zur Eingangshalle, während das Wasser still wurde, ein großes Tier, dem im Halbschlaf ein Zittern übers Fell läuft. Dann schaltete ich die Hauptbeleuchtung aus, hatte die Badesandalen mit den Turnschuhen vertauscht, sie machten kein Geräusch, stand schließlich eine Weile am Beckenrand, musste nicht länger aufpassen, und das Wasser lag ruhig. Es konnte nichts geschehen über Nacht.
Bis ich nach Hause kam,
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