Der Ball spielende Hund
gegen die arme Minnie benommen», antwortete Isabel, mit vor Entrüstung geröteten Wangen.
«Minnie ist die selbstloseste Seele, die es gibt», zirpte Julia. «Und trotzdem wurden die lieblosesten Sachen über sie gesagt; dass sie eine Erbschleicherin sei – »
«– Obwohl sie doch selber ganz überrascht war – »
«– und ihren Ohren nicht traute, als der Anwalt das Testament verlas – »
«– und als Mr Purvis nach langen Erklärungen über Brutto- und Nettobeträge mitteilte, es seien annähernd dreihundertfünfundsiebzigtausend Pfund, fiel die arme Minnie fast in Ohnmacht. Das hat sie uns selber gesagt.»
«Sie hätte das nicht im Traum für möglich gehalten.»
«Das sagte sie Ihnen selber, nicht wahr?», fragte Poirot.
«Ja. Und deshalb ist es so grundschlecht von der Familie, solche Sachen zu sagen und sie zu verdächtigen. Wir leben in einem freien Land – »
«Die Engländer leben allerdings in dieser Illusion», murmelte Poirot.
«– und jeder kann sein Geld vermachen, wem er will. Meiner Ansicht nach hat Miss Arundell sehr klug gehandelt. Offenbar misstraute sie ihren eigenen Verwandten, und Grund dazu hatte sie reichlich.»
«Ah? Wirklich?» Poirot beugte sich voll Interesse vor.
Geschmeichelt durch so viel Aufmerksamkeit, fuhr Isabel fort: «Ja, Mr Charles Arundell, ihr Neffe, ist ein durch und durch schlechter Mensch, das weiß jeder. Ich glaube, er wird im Ausland sogar von der Polizei gesucht. Und seine Schwester – nun, gesprochen habe ich noch nie mit ihr, aber sie sieht sehr sonderbar aus! Hypermodern und schrecklich aufgetakelt. Als ich ihre Lippen sah, wurde mir fast übel. Wie Blut! Und ich vermute stark, dass sie Rauschgift nimmt, sie benimmt sich manchmal so merkwürdig. Sie ist mit dem netten jungen Doktor Donaldson verlobt, aber ich glaube, sogar er fühlt sich manchmal ein wenig abgestoßen. O gewiss, auf ihre Art ist sie anziehend, aber ich hoffe, dass er noch zur Vernunft kommt und ein nettes, einfaches Mädchen heiratet.»
«Wie steht es mit den anderen Verwandten?»
«Genau dasselbe. Sehr unsympathisch. Ich habe nichts gegen Mrs Tanios, sie ist eine nette Frau, aber sehr beschränkt und ihrem Mann hörig. Er ist Türke – furchtbar, wenn eine Engländerin einen Türken heiratet! Sie ist aber eine sehr gute Mutter. Leider sind die armen Kleinen alles andere als hübsch.»
«Sie sind also der Ansicht, dass Miss Lawson eine weitaus würdigere Erbin ist?»
Überzeugt erwiderte Julia: «Minnie Lawson ist ein durch und durch guter Mensch. Und so selbstlos. Nie kam ihr der Gedanke an Geld. Keine Rede von Erbschleicherei.»
«Es ist ihr aber auch nicht eingefallen, die Erbschaft abzulehnen?»
Isabel fuhr ein wenig zurück. «O nein, das kann man doch nicht! Sie – sie betrachtete sie als – als heiliges Vermächtnis.»
«Und sie ist auch bereit, etwas für Mrs Tanios oder ihre Kinder zu tun. Sie will nicht, dass es ihm in die Hände fällt.»
«Sie erklärte sogar, dass sie vielleicht Theresa ein Taschengeld aussetzen werde.»
«Und das war sehr großmütig von ihr, wenn man bedenkt, wie von oben herab das Mädchen sie immer behandelte.»
«Wirklich, Mr Parrot, Minnie ist der großzügigste Mensch, den man sich denken kann. Aber Sie werden es selber wissen, Sie kennen sie ja.»
«Ja», antwortete Poirot, «ich kenne sie. Aber ich weiß noch immer nicht ihre Adresse.»
«Ach, richtig! Soll ich sie Ihnen aufschreiben?»
Poirot zog sein Notizbuch hervor. «Ich werde sie hier eintragen.»
«17, Clanroyden Mansions, W 2. Nicht weit vom Warenhaus Whiteley. Wir lassen sie herzlichst grüßen. Wir haben schon einige Zeit nichts von ihr gehört.»
Wir erhoben uns. «Ich danke Ihnen vielmals», sagte Poirot, «für den liebenswürdigen Empfang und die Adresse.»
«Ich verstehe nur nicht», rief Isabel, «warum man Ihnen in Littlegreen House die Anschrift nicht gab? Das muss diese Ellen gewesen sein! Dienstboten sind so eifersüchtig und kleinlich. Ich erinnere mich, sie waren mit Minnie manchmal geradezu grob.»
Julia reichte uns die Hand. «Es war uns ein Vergnügen.» Sie warf ihrer Schwester einen fragenden Blick zu. «Wenn Sie vielleicht Lust hätten – »
«Ja» – Isabels Wangen röteten sich ein wenig – «wenn Sie vielleicht unser einfaches Abendbrot mit uns teilen wollen? Geriebenes rohes Gemüse, Butterbrot und Obst.»
«So verlockend es klingt», antwortete Poirot hastig, «müssen wir leider gleich nach London zurückfahren.»
12
«Gott sei
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