Der Bastard
den richtigen Hebel gefunden hatte. Dann setzte sie sich wieder.
«Ich habe es gewusst», sagte Heinrich. Er rollte das Glas in den Händen, und Pia beobachtete seine la n gen und äußerst biegsamen Finger.
«Anna hat mich angerufen und es mir gesagt.»
Pia musste nicht nachfragen, was er meinte.
«Wieso hast du mich belogen?»
Er sah auf seine Hände hinunter und lächelte verlegen.
«Es war doch alles so lange her. Wenn du mich allein angetroffen hättest, hätte ich es wahrscheinlich gesagt. Aber ich wollte Clara nicht so lange Zeit sp ä ter aufregen.»
Es war nicht mehr zu ändern. Jetzt wusste sie zumindest, dass die Möglichkeit bestand, dass auch and e re es gewusst hatten.
«Wann und warum hat sie es dir gesagt?»
«Sie hat mich irgendwann angerufen und mir geradeheraus gesagt, sie sei schwanger von einem anderen. Du kennst mich nicht so gut wie Anna. Sie wusste genau, dass sie sich damit an mich wenden konnte. Ich bin nicht gefühlsduselig. Beziehungen zwischen Männern und Frauen sind immer kompliziert, und worauf es ankommt, ist nicht die fleischl i che Treue. Die Ehe ist wichtig, die Treue zur Familie, und die Ehe ist die kleinste Einheit von Familie. Das habe ich ihr auch g e sagt. Ich habe ihr zu einer Abtreibung geraten und d a zu, Maximilian nichts davon zu erzählen.»
Aber Anna hatte sich anders entschieden. Gegen die Familie, zumindest gegen diese Art von Familie, und für ihr Kind.
Heinrich fuhr fort: «Als Familienmitglied standen ihr beruflich alle Wege offen. Clara und ich haben Kontakte und Einfluss. Das ist der Vorteil eines g u ten Namens.»
«Es ist aber nicht dein Name», entfuhr es Pia. Sie bereute es sofort. Das tat nichts zur Sache, und wieso sollte sie einen alten sterbenden Mann daran eri n nern, dass er alles, worauf er stolz zurückblicken konnte, nicht aus eigener Kraft erreicht hatte. Doch Heinrich war von ihrem Einwand nicht beleidigt. Er lächelte.
«Ich war schon immer ein emanzipierter Mann. Ich war ein guter Arzt, ein sehr guter sogar. Der Name hat mir viele Türen geöffnet, die ansonsten verschlossen geblieben wären. Du weißt doch, wie es ist. Wir brauchen uns da nichts vorzumachen. Versteh mich bitte nicht falsch. Ich habe Clara geliebt. Sie war immer die richtige Frau für mich. Sie hat alles, was ich nicht h a be, nicht nur den Namen.»
Pia war froh, dass Heinrich beschlossen hatte, sein Gewissen zu erleichtern. Aber so einfach wollte sie es ihm nicht machen.
«Anna hat das Kind bekommen.»
Seine Reaktion kam spontan. «Woher willst du das wissen?»
«Weil Annas Sohn am Freitagmorgen auf meinem Obduktionstisch lag. Er ist tot. Hier in Würzburg ermordet. »
Heinrich brauchte einige Minuten, um sich zu fassen.
«Das tut mir sehr leid. Wie hast du ihn erkannt?»
Pia wischte die Frage mit einer Handbewegung beiseite.
«Wusstest du, von wem das Kind ist?»
«Das war nicht wichtig.»
«Es war von Jonathan.»
Pia wusste nicht, was sie erwartet hatte. Vie l leicht, dass Heinrich Jonathan mit einem Schimpfwort bedachte, gefolgt von einem «Nach allem, was ich für ihn getan habe». Doch es kam nichts. Heinrich schwieg.
«Hast du es wirklich nicht gewusst?», vergewisse r te sich Pia.
Heinrich schüttelte langsam den Kopf und sagte: «Das ändert alles.»
Pia wartete neugierig, was nun folgen würde. Sie war enttäuscht, als Heinrich sagte: «Würdest du mich jetzt bitte allein lassen?»
«Warum ändert das alles?»
«Ich habe alles falsch gemacht. Und es hat auch ke i ne Bedeutung mehr. Ich brauche jetzt etwas R u he.»
Pia konnte schlecht darauf bestehen, das Gespräc h f ortzuführen. Sie stand auf und verabschiedete sich. Heinrich war mit den Gedanken an einem anderen Ort. Er murmelte etwas, das nach Verabschiedung klang, und Pia verließ sein Zimmer.
Sie fuhr mit dem Aufzug ins Erdgeschoss, und als sie den Wegweiser zur Cafeteria sah, verspürte sie Appetit auf ein Stück Kuchen. Sie wählte Käsekuchen und setzte sich an einen der runden Tische.
Das Gespräch mit Heinrich Sibelius ging ihr nicht aus dem Kopf. Hatte er sich wirklich nur entschuld i gen wollen? Dafür hätte ein Anruf gereicht. Sie standen sich nicht so nahe, als dass er sich vor seinem Tod hätte von ihr verabschieden wollen. Steckte in seinen Worten irgendwo eine versteckte Botschaft?
Das ändert alles.
Eine ähnliche Frage hatte das Gespräch mit Ubunta bei ihr hinterlassen.
Es steht mir nicht zu, für ihn zu antworten.
Sie sah Heinrich in seinem Bett liegen, wie er
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