Der Bastian
oberbayrischen Morgen zu fahren. Rundum war alles so grün, so
leuchtend rot und weiß und gelb auf hölzernen Balkonen. So blau, wo die Wolken
aufrissen.
Und so still, wo sie endlich anhielten und
ausstiegen. Während Katharina den Wagen abschloß, drehte er sich einmal um sich
selbst. Hatte keine Ahnung, wo er sich befand. War ihm auch piepegal.
Er breitete die Arme aus und atmete tief durch.
»So riecht das also morgens auf dem Lande!«
»Wie riecht es morgens auf dem Land?« fragte
Katharina und kam auf ihn zu — kariertes Hemd, Bundhose, rote Wollstrümpfe und
die neuen Schuhe. Es gab graziösere Sportbekleidungen für eine Frau.
»Blödsinnig gesund«, sagte Bastian. »Und dazu
die Stille. Und das Rindvieh.«
Am liebsten hätte er jede auf den betauten
Wiesen stehende, sanft zu ihnen herüberglotzende Kuh mit Handschlag begrüßt.
»Warten Sie.« Katharina schnallte ihm einen
Rucksack um — wozu denn Rucksack, es gab doch schließlich Wirtschaften. Aber
anscheinend konnte sich ein echter Wanderer einen Ausflug ohne Rucksack nicht
vorstellen. »Jetzt gehen wir also immer hinein in die Gegend?« fragte er
interessiert.
»O nein, Herr Guthmann. Immer hinauf.«
Sie zeigte auf einen Berg, der ihm unendlich
hoch erschien. Schnee hatte er zwar nicht mehr, und bewachsen war er bis kurz
unterm Gipfel, aber wo war der Gipfel —!
»Ist Ihnen das nicht zu hoch?« fragte er
besorgt.
»Etwa Ihnen?«
»Was glauben Sie, wie heiß das da oben wird!«
Katharina schaute auf die Uhr. »Jetzt ist es
sieben. Zwei Stunden gehen wir — .«
»Im ganzen?«
»Hinauf. Gegen neun werden wir oben sein. Um die
Zeit wird es meistens sehr heiß, aber nicht heut. Heut ganz bestimmt nicht. Die
Wolkendecke ist fast zu.«
Bastian schaute die Wolkendecke an.
»Ein herrlicher Morgen«, sagte er blaß.
Zuerst gingen sie ein Stück an einem Rauschebach
entlang, beschirmt von dichten Laubbäumen, unter denen selbst bei vollem
Sonneneinsatz feuchtwürzige Kühle herrschen mochte. Dann ging’s über Wurzeln,
die wie dicke Adern den Weg überzogen, bergan.
Zuerst noch ein Stück geradeaus, dann im
Zickzack.
In immer kürzerem Zickzack, der Steigung
entsprechend, und nirgends war ein Ende abzusehen.
Als Bastian um acht auf die Uhr schaute, war es
erst zwanzig Minuten nach sieben.
Noch federte er forsch voran — er war ja
Treppensteigen gewöhnt, schließlich wohnte er im vierten Stock ohne Lift. Aber
er war noch niemals fünfzigmal hintereinander vier Treppen hochgestiegen.
Katharina lag weit zurück. Sie stieg langsam und
stetig, so wie in dem einzigen Ganghoferfilm, den er als Knabe gesehen hatte.
Er blieb zwischen einem Zick und einem Zack des
schmalen Pfades stehen und wartete auf sie. Und fragte, nur leicht außer Atem:
»Gehe ich zu schnell?«
»Nein, nein, ich komm’ schon nach.«
»Sie müssen es mir sagen, wenn ich zu schnell
steige, ja?«
»Ich sag’s.«
Jetzt lagen noch anderthalb Stunden Aufstieg vor
ihnen. Warum eigentlich? Wieso mußten sie hinauf? Um hinterher zu sagen, wir
sind da oben gewesen? Dazu war der Berg nicht prominent genug.
Der Abstand zwischen ihnen verringerte sich. Es
kam der Moment, da Katharina an Bastian vorbeistieg und freundlich fragte:
»Naa?«
»Ich schau’ mich um«, japste er. »Will ja
schließlich was von der Landschaft haben — .«
Die Landschaft war überhaupt nicht da. Sie lag
hinter den dichtstehenden Baumstämmen.
Katharina ging anscheinend ohne Anstrengung vor
ihm her. Wieso machte ihr das Steigen nichts aus? Warum beherrschte sie alles
so vollkommen? Aber das lag nur an ihren starken Profilsohlen. Die hafteten am
Berg. Die dünnen Kreppsohlen seiner Clarks dagegen...
Nun verschwand sie hinter einer Biegung des
Weges.
Bastian lief der Schweiß von der Stirn übers
Gesicht, in seinen keuchenden Mund. Wahrscheinlich stand er kurz vor einem
Herzinfarkt. Er hatte erst kürzlich von einem Mann gelesen, der sich auf einem
Berg einen Herzinfarkt geholt hatte, der Mann war zwar schon dreiundfünfzig
gewesen, aber manche traf’s eben früher.
Milzstechen hatte er auch und dazu der
Scheißrucksack — ja, war er Luis Trenker??
Das macht sie absichtlich, dachte er unfroh. Sie
will mir die Lust am Nachsteigen austreiben. Sie mag mich nicht. Aber hätte sie
ihm das nicht unten sagen können?
Warum müssen Frauen bloß so anstrengend sein? Er
kannte nur anstrengende Frauen.
Zum Beispiel Susi.
Susi. Die frühstückte jetzt und schob
anschließend den Kinderwagen durch die
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