Der Bastian
ihn
wie einen jungen Hund. Sie wollte ihn nicht, er lief ihr nach. Seine
unbeirrbare Anhänglichkeit rührte sie schließlich. Na komm schon, rief sie ihm
zu. Er durfte ihr folgen. Wohin durfte er ihr folgen? Auf einen Berg...
Was hatte er sich eigentlich dabei gedacht, als
er sich in sie verliebte? Hatte er überhaupt etwas gedacht? Auf alle Fälle
nicht darüber nachgedacht, was das Leben mit Katharina bedeutete. Achtzig
Prozent ihres Daseins verbrachte sie im Krankenhaus, zehn bis fünfzehn Prozent
damit, sich vom harten Dienst im Krankenhaus auszuschlafen, der kümmerliche
Rest war Privatleben.
Das entsprach alles so gar nicht seinen
Vorstellungen von einer jungen Liebe.
Er wollte ein Mädchen nicht nur zweimal in der
Woche sehen, er wollte möglichst viel mit ihr zusammen sein. Schlafen, reden, blödeln,
Zeit haben, in der Sonne liegen, segeln gehen, und wenn sie nicht da war,
etliche Male am Tag mit ihr telefonieren...
Bastian rannte den Berg hinunter, sehr leicht,
sehr froh, wie einer, der noch mal davongekommen ist.
Einmal blieb er stehen und sah sich um.
Sah niemand. Keine Katharina weit und breit.
Er rief ihren Namen und hörte als Antwort nur
das Rauschen der Bäume und einen Vogel in großer Erregung.
Entweder war sie umgekehrt und zum Lift
zurückgegangen, oder sie lag irgendwo mit etwas Verknaxtem.
Auf alle Fälle war es seine Pflicht, nach ihr zu
suchen. Das bedeutete, daß er ein noch ungewisses Stück Berg wieder
hinaufsteigen mußte, und das gefiel ihm gar nicht.
Er fand sie nach einer steilen Viertelstunde in
einer Mulde hockend, die Beine von sich gestreckt. Sie lächelte sanft. »Die
neuen Stiefel, vor allem der rechte...«
Bastian kniete vor Katharina nieder und schnürte
ihren rechten Stiefel auf.
»Vorsicht — bitte — .«
Er zog ihn vorsichtig aus. Auch den Strumpf. Er
behielt ihren Fuß in der Hand, den sie nun gemeinsam betrachteten. Einen
schmalen, kleinen Fuß mit rosalackierten Zehen und mindestens fünf großen
Blasen. Am Hacken blutete er.
Bastian fragte, ob er mal pusten solle.
»Ja, bitte«, sagte Katharina.
Bastian pustete rundherum. »Besser?«
»Nicht sehr.«
»Das wär’ alles nicht passiert, wenn wir die
Seilbahn genommen hätten.«
»Seilbahn wär’ schön!«
»Haben Sie Heftpflaster mit?«
»Ja.«
»Im Rucksack?«
»Im Auto.«
»Das ist gut.« Er überlegte.
»Haben Sie wenigstens Alkohol da?«
»Ja.«
»Im Auto?«
»Auf Ihrem Rücken.«
Bastian fand Marillenschnaps im Rucksack. So was
Schönes hatte er nun stundenlang mit sich herumgeschleppt, ohne von seiner
Existenz zu ahnen.
Er hielt Katharina die Flasche hin. Sie hatte
keinen schlechten Zug. Dann trank er selbst.
»Und das soll gut sein gegen Blasen?«
»Moment — .« Nicht ohne Bedauern goß er vom
Schnaps in ihren Wanderstiefel und schaukelte die Flüssigkeit darin herum, bis
sie das ganze Innenleder angefeuchtet hatte. Dann begann er den Schuh zu beulen
und zu kneten. Katharina sah ihm dabei zu.
Das Kleinlaute stand ihr. Sie war lieb, sanft,
gefügig. Bastian durfte endlich mal Kerl sein. Er zeigte, was er konnte. Er
machte den Stiefel ziemlich fertig.
»Mein Großvater pinkelte früher in seine neuen
Schuhe, wenn sie drückten. Alkohol müßte dieselbe Wirkung haben — ich hoffe
wenigstens, daß er das Leder geschmeidiger macht.« Katharina schaute Bastian
an. Seinen männlichen Eifer. Seine Zunge half mit. Er mußte immer wieder
Haarsträhnen aus seinem Gesicht schütteln. Sein gebeugter, langer, eckiger
Rücken in einem verwaschenen Jeanshemd, das wie bei kleinen Jungen aus der Hose
gerutscht war und ein Stück nackte Haut freigab. »Bastian«, sagte sie.
Die unverhoffte Zärtlichkeit in ihrer Stimme
machte ihn verlegen. Es war ein rührender Irrtum gewesen, zu glauben, er hätte
Katharina Freude überstanden.
Er hielt ihr den Stiefel hin und grinste: »Jetzt
ist Ihr Schuh besoffen.«
Katharina stellte den Schuh neben sich.
»Komm mal her«, sagte sie und nahm seinen Kopf
zwischen ihre Hände und gab ihm einen Kuß.
Bastian hielt mit geschlossenen Augen still und
wartete, daß noch mehr kommen würde, aber es kam nichts. Da machte er die Augen
wieder auf und nahm Katharina in die Arme.
Der Rucksack störte, Gestrüpp ritzte ihn,
während er sich mit ihr zurücklehnte.
Er sah ein verregnetes Bonbonpapier auf dem
Waldboden, darauf stand Maoam---
Katharina sah zwischen hohen, schwankenden
Tannenspitzen eine dunkle Regenwolke aufziehen und legte die Arme um Bastians
Nacken
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