Der Bastian
deine Großmutter. Sie
hat sich doch sehr um die beiden bemüht.«
»Sie ist aber verreist«, sagte Bastian. »Zu
Verwandten.«
»Und was macht sie da?«
»Schickt Ansichtskarten, wo draufsteht, mit wem
sie schon alles verzankt ist.«
»Hat sie eine Wohnung?«
»Drei Zimmer. Altbau. Alles unverändert seit
Großvaters Tod. Damit er sich zurechtfindet, wenn er nachts spuken kommt.«
Bastian faßte sich plötzlich an die Ohren. »Kathinka! Daß ich da noch nicht
draufgekommen bin! Du bist ein Engel, Kathinka — « und sprang auf.
»Wo willst du hin?«
»Telegrafieren. Ob’s Großmutter recht ist, wenn
ich Susi und Katharinchen bei ihr unterbringe. Den Schlüssel zu ihrer Wohnung
hab’ ich ja...«
Um ein Haar hätte er die schwer tragende
Bedienung umgerannt. Katharina sah ihm nach und lachte.
Und rekelte sich zufrieden — bemerkte beim
Rekeln zufällig ihre rotbestrumpften Füße. Hatte noch immer nicht die Blasen an
ihnen verarztet.
In genau drei Stunden und siebenundzwanzig
Minuten mußte sie ihren Dienst im Krankenhaus antreten. Sie hatte es Bastian
noch nicht gesagt. Sie selbst hatte es ganz vergessen gehabt. Warum bloß
heute!?
Warum konnte sie nicht anrufen und sagen, sie
hätte im ganzen neun Blasen und einen durchgescheuerten Hacken und könne nicht
auftreten, leider... Warum hatte sie keinen Beruf, in dem man mal schwänzen
konnte, wenn einem danach zumute war!?
Katharina hatte Dienst. Nach Hause mochte er
nicht. Also wälzte Bastian auf offener Straße sein Notizbuch nach einem
Menschen, den er am Sonntag nachmittag heimsuchen konnte.
Er wechselte eine Mark in Groschen um und trat
mit fünf Adressen in eine Telefonzelle. Er konnte dieselben zwei Groschen immer
wieder benutzen, weil sich von fünf Angerufenen keiner meldete.
Wer war schon am Sonntag in München!?
Als Bastian sein Vorhaben aufgeben wollte, sah
er durch das verschmierte Glas der Telefonzelle seinen Kommilitonen Kaspar
Hauswurz mit einem Siphon aus einer Wirtschaft kommen.
Kaspar war ein Netter. Ein ganz Ruhiger. Einer
mit Nerven wie ein Wiederkäuer. Die brauchte er auch, wenn er mit dem Namen
Hauswurz Lehrer werden wollte. Auf der PH hatten sie ihn Kaspar Hauser-Wurz
genannt. Er war groß, dünn, dunkel, unscheinbar und kurzsichtig.
Wenn man ihn nicht sehr gut kannte, erkannte man
ihn nicht wieder. Aber er erinnerte jeden dritten Beschauer an jemand anderen,
den er kannte.
Bastian lief auf ihn zu. Kaspar ahnte nicht, was
er sich mit ihm auflud, als er sagte: »Komm doch auf’n Sprung mit hinauf.«
Er wohnte mit einem Chemiestudenten, einer
Grafikerin und einem Maler in einer Altbauwohnung nahe dem Hauptbahnhof. Früher
war sie ein Etagenpuff gewesen, der wegen Überalterung der weiblichen
Angestellten geschlossen werden mußte. Eine dunkelrote Tapete und nikotinbraune
Wolkenstores erinnerten in Kaspars Erkerzimmer noch immer an damals, sonst
nichts. Er besaß ein mageres Bett, einen Tisch, einen Schreibtisch, fünf
verschiedene Stühle, ein Vertiko und ein Klavier. Und viele Bücher, die sich an
der Zimmerwand hochstapelten. Bastian war zum erstenmal bei Kaspar.
Er bekam ein Glas Siphon mit Himbeersirup
vorgesetzt.
»Sie ist Ärztin, weißt du«, begann er. »Im
Krankenhaus. Sie hat jetzt Nachtdienst. Heut früh war ich mit ihr auf’m Berg.«
Kaspar war ein guter Zuhörer. Der beste, den man sich wünschen konnte.
Aber nach einer dreiviertel Stunde ging ihm das
Thema Katharina — Krankenhaus — Liebe merkbar auf die Geduld. Er begann, auf
seinem Stuhl herumzurutschen. Bastian war so langatmig. Er wiederholte sich
ständig. Und es war gar nicht spannend, was er erzählte. Er wollte auch nicht
auf ein anderes Thema übergehen. Er hatte nur Katharina im Sinn und Katharina
und Katharina.
»Kann ich sie mal anrufen?«
Kaspar ging inzwischen aus dem Zimmer und traf
den Chemiestudenten im Gang, der mit seiner Freundin vom Baden kam. »Bei mir
hockt einer, der Guthmann Bastian. Er liebt einen steilen Berg mit roten
Strümpfen und Blasen auf der Frauenstation von dem Krankenhaus, wo seine Oma
einen Vorfall hatte. Er telefoniert gerade. Habt ihr was gegen Zahnschmerzen?«
Bastian öffnete die Zimmertür und sagte: »Sie
ist auf Station, ich krieg’ sie nicht.«
Er wollte zwei Zehnerl neben das Telefon legen,
aber Kaspar sagte: »Ach, laß doch.«
Als Bastian zum viertenmal das Krankenhaus
anrief, holte Kaspar von sich aus eine Untertasse aus der Gemeinschaftsküche
und stellte sie neben das Telefon.
Bastian
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