Der Bastian
Sie auch was mit Medizin zu tun?« fragte
Frau Freude beim Kaffeenachschenken.
»Ich werde Lehrer.«
»Ach — Sie werden noch?«
»Falls ich mein Examen bestehen sollte.«
Frau Freude hatte einen Augenblick mit seiner Antwort
zu tun.
»Studienrat?« fragte sie dann.
»Grundschullehrer«, sagte Bastian.
»Ja — liegt Ihnen denn der Beruf?«
»Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Auf alle
Fälle liegen mir die vielen Ferien.«
Frau Freude lehnte sich zurück, das Interview
war beendet. Sie schaute mit großen, besorgten Augen ihren Mann an. Der lachte.
Sie fuhren Rad. Bastian freihändig auf einem
sehr alten, schutzblechklappernden Damenrad mit Bruder Hermann an der Leine. Er
machte Kunststücke.
»Paß auf, du knallst noch auf die Nase!« warnte
Katharina. »Laß bloß Bruder Hermann einen Hasen sehen, dann liegst du lang.«
»Ich steh’ ja unter ärztlicher Aufsicht.
Zweifacher sogar. Was repariert eigentlich dein Vater?«
»Augen.«
»Da möcht’ ich lieber nichts dran haben«, sagte
er und fuhr nun nicht mehr freihändig.
Am Waldrand gab es eine winzige alte Wirtschaft,
die von zwei ebenso alten Fräulein betrieben wurde.
Vor dem Häuschen standen drei Tische mit
Holzbänken und dann noch einmal zwei unter einem Baum. Dort saßen Katharina und
Bastian wie ein Liebespaar, sofern sie nicht nach Mücken klatschen mußten.
»Wir sollten viel öfter fortfahren, du.« Er
spielte mit ihrem Haar und kraulte ihren Nacken.
Kathinka hielt genußvoll still.
»Auf Reisen bist du viel netter.«
»Wie netter?«
»Weiblicher. Nicht so furchtbar tüchtig und
pflichtbewußt. Trinken wir noch eins?«
»Ist ja schon halb sieben.« Kathinka schlug eine
Mücke von seinem Handrücken.
»Und wenn wir Bruder Hermann nach Haus schicken
mit ‘nem schönen Gruß, wir kämen später!?«
»Hermann geht wildern, wenn wir ihn auslassen.
Und wenn Bruder Hermann wildert, kriegt er großen Ärger mit dem Jagdpächter,
und das wollen wir doch nicht.«
»Kennst du den Jagdpächter?«
»Ja.«
»Kennt der Jagdpächter unseren Bruder Hermann?«
»Ziemlich. Hermann ist der Hund vom Jagdpächter.«
Bastian überlegte einen Augenblick. »Aber dein
Vater macht doch einen ganz toleranten Eindruck.«
»Nicht als Jagdpächter.«
Bastian seufzte. »Also zahlen wir. 3 Halbe, 35
Mücken und ein kurzes Idyll mit Kathinka...« Er steckte sein Geld wieder ein. »Das
ist gar nicht zu bezahlen.«
Sie fuhren Hand in Hand zurück, verunglückten
beinah, stiegen ab und küßten sich vor frisch gemähten Wiesen. Bastian sagte,
er hätte noch nie im Heu.
»Und was machen wir mit Bruder Hermann? Und wenn
die Mücken von der Wirtschaft nachkommen?«
»Immer fallen dir Bedenken ein. Du willst mich
nicht mehr.« Sie legte die Arme um seinen Hals. »Ich hab’ dich lieb.«
Balzen
Die Gemütlichkeit des Wohnraumes wurde von einem
riesigen schwarzen ausgestopften Vogel mit erhobenen Schwingen und
aufgerissenem Schnabel bedroht. Bastian mußte immer wieder zu ihm hinschauen.
Er faszinierte ihn so sehr wie etwa die Warze auf der Nase eines Gegenübers in
der Trambahn.
»Das ist ein Auerhahn?«
»Ja.« Herr Freude entkorkte eine Flasche
Frankenwein. Er hatte es offenbar eilig, mit seinem Gast zum Trinken zu kommen.
Bastian las auf dem Etikett »1959er Thüngersheimer Neuberg Müller Thurgau aus
Veitshöchsheim«. Das war viel Name und Anschrift für einen Wein und vor allem
für einen Konsumenten wie Bastian, der seinen Weinverstand an billigen
Sonderangeboten geschult hatte.
Leider waren die Gläser ziemlich klein.
»Ja, das ist ein Auerhahn.«
Bastian und der Vogel wechselten einen Blick.
»Der balzt, nicht wahr?«
Freude nickte.
»Und so haben Sie ihn geschossen?«
»Ja. In der Steiermark.«
»Schöner Tod«, sagte Bastian neidisch.
»Sie sind kein Jäger?«
»Nein. Als Kind hab’ ich mal Wühlmäuse erlegt,
danach nichts mehr.«
Er zeigte auf den Hahn. »Wie jagt man denn so
ein Vögelchen?«
Das hätte er lieber nicht fragen sollen, denn
nun stand Herr Freude auf, zog seine Jacke aus, hängte sie über die Stuhllehne
und ging in Positur.
»Jetzt passen Sie mal auf, Herr Guthmann!«
Die Frauen waren in der Küche. Frau Freude wusch
ab, und Kathinka trocknete ab.
Wegen Bastians später Anreise hatten sie erst zu
Abend ihren Sonntagsbraten gegessen: Bambi aus der Tiefkühltruhe. »Deinem
Freund hat es aber geschmeckt. Ein netter Mensch. Wirklich. So natürlich.« Wenn
Frau Freude beim Lächeln viel
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