Der Bastian
Salzsäule, jeden Augenblick damit rechnend, zerrissen zu werden. Wenn
man Glück hatte, wurde einer im Hause — durch das anhaltende mordlustige Gebell
gestört — auf seine Zwangslage aufmerksam und brachte die Bestie mit dem Ruf
»Bonanza, kusch, der Onkel darf...« zur Räson. Falls die Bestie parierte.
Und nun Bruder Hermann auf dem Rücksitz, Bastian
direkt in den Nacken hechelnd.
Er saß so starr da wie seine Vorfahren beim
Kreisstadtfotografen.
Hermann im Nacken und Katharinas Eltern vor sich
— hatte er das nötig gehabt?
Das Haus war zweistöckig, steil mit altmodischen
Balkonen auf Eisenstelzen, an denen sich wilder Wein hochrankte bis unters
Dach. Sein Laub verdunkelte die Zimmer und versorgte sie mit Ungeziefer, vor
allem Spinnen. Aber das hatte Katharina dem Bastian wohlweislich verschwiegen.
Frau Freude empfing ihn in der Haustür, ganz
liebenswürdige Gastgeberin. Man merkte ihr die Enttäuschung nicht an, die sie
bei seinem Erscheinen empfand.
»Kommen Sie herein, Herr Guthmann, ich bin
Kathis Mutter, guten Tag. Hatten Sie eine angenehme Reise? War der Zug
pünktlich? Ja? Kathi, du zeigst Herrn Guthmann am besten gleich sein Zimmer.«
Bastian wollte auf ihre Fragen antworten, aber
dazu waren sie nicht gestellt worden. Sie gehörten einfach zum
Begrüßungsblabla. »Sie wollen sich sicher frisch machen, nicht wahr? Mich
entschuldigen Sie bitte, wir sehen uns ja beim Kaffee!«
Und damit enteilte Frau Freude heiter lächelnd
auf der Suche nach ihrem Mann, um ihm ihre Enttäuschung mitzuteilen; »Dietmar!
Es ist nicht dev nette junge Mann, den wir erwartet haben!«
Katharina, Bastian und sein großer, fast leerer
Koffer stiegen die Treppe zum ersten Stock hinauf.
»Ich muß mich nicht frisch machen«, sagte er.
»Ich hab’ mich schon im Zug frisch gemacht. Sogar die Füße.«
Die Fenster des Gästezimmers standen offen. Von
den Wiesen zog der Duft frisch gemähten Heus herauf. Die Spinnen sah man
tagsüber nicht. Ein liebenswert altmodisches Zimmer war das, mit Messingbett
und Häkeldecke und Waschtisch mit Marmorplatte und einem Paravent. In der Mitte
stand ein Tisch mit einem Feldblumenstrauß, den Kathinka heute früh gepflückt
hatte.
»Gefällt’s dir?«
Bastian stellte seinen Koffer ab und schloß
Kathinka in weitausholende Arme.
Während er sie küßte, wanderte sein Blick zur
unverschlossenen Zimmertür. Er dachte, wie schön, wenn das hier eine
Frühstückspension wäre und nicht ihr respektables Elternhaus.
Später zeigte ihm Katharina den Garten. »Das
sind die Reste von unserer Schaukel... der Goldfischteich... die
Fliederhecke... Bruder Hermanns Zwinger...«
»Und das ist vermutlich euer Gartenschlauch.«
»Vermutlich.« Sie hakte sich bei ihm ein. »Nun
find’s doch ‘n bißchen schön bei uns.«
Unter einem Lindenbaum wurde der Kaffee
getrunken mit Zucker, frisch geschlagenem Rahm und Lindenblüten. Ameisen eilten
über das Kreuzstichmuster des Tischtuches zum ofenheißen Kirschstrudel und
verbrannten sich daran genauso das Maul wie Bastian.
»Noch ein Stück Strudel, Herr Guthmann?«
»Nein, danke — war sagenhaft. Aber ich platz’
gleich«, versicherte er.
»Sagen Sie«, begann Herr Freude, »wir haben mal
auf der Jagd einen Namensvetter von Ihnen kennengelernt — auch aus München —
Anfang, Mitte dreißig — etwa Ihre Größe...«
»Aber sonst wenig Ähnlichkeit, Dietmar!«
»Wenig Ähnlichkeit mit mir? Und Jäger sagen
Sie?« Bastian lachte. »Das könnte Klappzahn sein.«
»Klappzahn?« fragte Frau Freude irritiert.
Bastian ließ seine Zähne geräuschvoll
aufeinanderklappen. »Mein Bruder Karl macht diesen, verstehen Sie?«
Frau Freude schaute ihren Mann an. Herr Freude
lachte. »Nein, diesen hat unser Guthmann nicht gemacht.«
»Bastians Bruder hat ein zahntechnisches Labor«,
erklärte Ka-thinka.
»Stahl- und Goldmetallgußtechnik.
Verblendetechnik. Geschiebe- und Gelenkarbeiten. Keramik- und Acrylbrücken.
Mein Bruder ist ein vielseitiger Zahnhersteller.«
»Aha — wie lustig«, sagte Frau Freude mit
spinösem Lächeln. Herr Freude war der bedeutend Nettere von beiden, fand
Bastian. Ein rundlicher, handfester Typ mit randloser Brille und ausgeprägter
Lachbereitschaft in den Wangen. Einer von diesen unendlich geduldigen,
gutartigen Ehemännern, denen es gelingt, mit einer leicht verzickten, von
Kindheit an verwöhnten, engstirnigen Frau auch nach fünfunddreißig Jahren noch
eine verhältnismäßig glückliche Ehe zu führen.
»Haben
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