Der Bedrohung so nah (German Edition)
zurück. Ihre Brust fühlte sich an, als würde sie von einem riesigen Schraubstock zusammengedrückt. Nur mit Mühe gelang es ihr, zu atmen und Luft in ihre Lunge zu pumpen. Alles würde gut werden, versuchte sie sich zu beruhigen. Der letzte Flashback war schon eine ganze Weile her, doch es kam immer mal vor. Ein Geräusch, ein Duft oder etwas, das sie sah, reichte aus, um die Bilder aus der Nacht, in der sie angeschossen worden war, heraufzubeschwören …
Sie rief sich selbst zur Ruhe, strich über die Vorderseite ihrer Uniform und beobachtete, wie Nick vor seiner Tochter kniete, um ihr einen Schuh zuzubinden. Das Mädchen trug ein pinkfarbenes Sweatshirt mit einer passenden Hose und gepunktete Turnschuhe. Ein fröhliches Outfit, das ideal war, um auf Bäume zu klettern oder Himmel und Hölle zu spielen. Doch ein Blick in die Augen des Mädchens, und sie wusste, dass es alles andere als fröhlich war. Es war offensichtlich, dass es nicht so bald aus diesem Rollstuhl aufstehen würde, um Himmel und Hölle zu spielen.
„Pack dein Buch und deine Stifte zusammen“, sagte Nick. „Ich bringe dich nach Hause“
„Ich will nicht nach Hause.“
„Du hast die Wahl“, sagte er bestimmt. „Entweder in die Schule oder nach Hause.“
„Bitte, Daddy, ich möchte mit dir kommen.“
Erin sah den Schmerz, der kurz in Nicks Augen aufflackerte, als er die Zähne aufeinanderbiss und zu Boden sah. Ganz langsam straffte er den Rücken, als koste es ihn mehr Kraft, als er hatte. „Pack deine Sachen ein, Honey. Ich fahre dich nach Hause.“
Sichtlich verärgert fuhr das Mädchen mit dem Rollstuhl näher an den Schreibtisch heran und begann, die Stifte einzeln in die Büchertasche zu schmeißen.
Erin hatte noch nicht einmal gewusst, das Nick Ryan eine Familie hatte. Da er keinen Ring trug, hatte sie angenommen, dass er unverheiratet war. Dass sein Kind eine Behinderung hatte, berührte sie sehr. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihre Brust und bahnte sich quälend langsam seinen Weg durch ihren Körper, bis er sie komplett ausfüllte. Ihr Herz weinte stumm, als sie an einen anderen Rollstuhl dachte und an den Mann, den sie in eine Hölle geschickt hatte, die sie sich nicht einmal in ihren schlimmsten Albträumen vorstellen konnte.
„McNeal.“
Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie Nicks Stimme hörte. Sie zwang sich, ihn anzusehen.
Er stand am Ende des Flurs und warf ihr einen Blick zu, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. „In mein Büro.“
Die Hand auf ihren Magen gepresst, ging sie an ihm vorbei in sein Büro. Oh mein Gott. Sie wünschte, sie hätte anders reagiert. Was dachte er bloß von ihr?
Nick betrat nach ihr den Raum und schloss die Tür. Als er sich zu ihr umdrehte, hatten seine Augen die Farbe eines äußerst gefährlichen Tornados angenommen, der genau auf sie zukam.
„Wenn Sie ein Problem mit dem Rollstuhl haben, schlage ich vor, dass Sie schnurstracks nach Chicago zurückkehren und vergessen, dass sie Logan Falls jemals betreten haben“, fuhr er sie an.
„Es ist nicht …“
„Herr Gott noch mal, Sie sehen aus, als wären Sie einem Geist begegnet. So geht das nicht. Sie können nicht jedes Mal, wenn Sie meine Tochter sehen, die Nerven verlieren.“
Erin sah Nick an. Ihr Herz klopfte wie wild, während sie nach Worten suchte… „Es tut mir leid. Ich war … abgelenkt.“
„Abgelenkt? Sie wären beinah zusammengebrochen“, unterbrach er sie.
„Ich dachte …“
„Sie dachten?“
„Ich dachte an … Danny.“ Ihm von den Flashbacks und den Albträumen zu erzählen käme einem beruflichen Selbstmord gleich.
„Was hat der dann damit zu tun?“
Sie wartete, bis sie sich gesammelt hatte und sicher sein konnte, dass ihre Stimme sie nicht im Stich lassen würde. Dann hob sie das Kinn und sah ihn an. „Er sitzt im Rollstuhl. Und es ist meine Schuld.“
Weil er eine achtjährige Tochter hatte, fluchte Nick normalerweise nicht. Doch heute machte er eine Ausnahme. Er hatte mit allen möglichen Gründen für Erins Verhalten gerechnet, aber dass es etwas mit ihrem Expartner zu tun hatte, machte ihn sprachlos und nahm ihm komplett den Wind aus den Segeln.
Dass die Leute negativ auf den Rollstuhl seiner Tochter reagierten, war für ihn nichts Neues. Einige starrten sie an, andere ignorierten sie, und wieder andere lächelten viel zu viel, weil sie sich in der Gegenwart eines Mädchens, das nicht laufen konnte, unwohl fühlten. Ganz egal, wie unschuldig dieses Verhalten auch
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