Der Bedrohung so nah (German Edition)
herumführte. Erin wusste nicht, was sie erwartet hatte, doch bestimmt nicht, dass Nick Ryan an einem Ort lebte, der so fröhlich aussah, als würden Kinder hier spielen und Erwachsene im Garten grillen. Allerdings war auf den zweiten Blick schnell klar, dass der Schein trog. In diesem Garten hatte schon lange keiner mehr gespielt. Wie ein verlassenes Schiff stand die Schaukel in einer Ecke im hohen Gras, und der Basketballkorb über der Tür war verrostet. Das zerrissene Netz wehte im Wind.
Erin lächelte, als sie ein Pferd entdeckte, das neben dem Lattenzaun graste. „Wessen Pferd ist das?“, fragte sie, in der Hoffnung, ein Thema gefunden zu haben, das Stephanies Laune etwas aufhellen würde.
„Das ist Bandito“, antwortete das Mädchen. „Er ist ein Appaloosa.“
„Er ist wunderschön“, sagte Erin. „Reitest du?“
„Früher bin ich Western Pleasure und Trail geritten.“ Stephanie seufzte. „Aber jetzt nicht mehr.“
„Wieso nicht?“
Ein verärgertes Geräusch war vom Rücksitz zu hören. „Sie haben doch bestimmt bemerkt, dass meine Beine nicht mehr stark genug sind, sich in den Steigbügeln zu halten.“
Erin drehte sich auf ihrem Sitz um und lächelte Stephanie an. „Sagt dir der Begriff therapeutisches Reiten etwas?“
Das Mädchen musterte sie mit einem Blick aus ihren sanften, intelligenten Augen, der sehr viel mehr Interesse verriet als ihre Antwort. „Nein.“
„Es ermöglicht Kindern mit Behinderung, zu reiten und dabei gleichzeitig Muskeln aufzubauen. Aber in erster Linie geht es darum, Spaß zu haben.“
„Mein Dad sagte, Bandito wird langsam zu alt zum Reiten.“
Erin riskierte einen Blick in Nicks Richtung. „Haben Sie mal mit Stephanies Arzt gesprochen …“
„Steph verbringt den größten Teil ihrer Zeit mit Physiotherapie“, sagte Nick bestimmt und sah in den Rückspiegel, um seine Tochter anzulächeln. „Nicht wahr, Honey?“
„Ja, aber ich vermisse Bandito“, sagte sie.
Erin beschloss, dass es besser war, nicht länger vom Reiten zu reden. „Na ja, auch wenn du nicht mehr reitest, Steph, vielleicht könntest du mir dein Pferd in den nächsten Tagen mal zeigen.“
„Bandito mag keine Fremden“, sagte das Mädchen.
Nick warf seiner Tochter einen weiteren Blick über den Rückspiegel zu, während er den Wagen parkte. „Das reicht, Steph. Deputy McNeal versucht nur, nett zu sein.“
„Aber sie hört nicht auf, dumme Fragen zu stellen.“
Er stellte den Motor aus und beendete das Thema, von dem Erin wünschte, sie hätte es nie angeschnitten, in dem er die Tür öffnete. Erin stieg aus und sah zu, wie Nick den Rollstuhl entlud, die Tür öffnete und seine Tochter vom Rücksitz hineinhob.
„Ich kann gerne draußen warten“, sagte Erin schnell, als er in Richtung Haus ging.
Nick blieb stehen und sah sie finster an. „Sie können ebenso gut mit reinkommen. Mrs Thornsberry möchte Sie bestimmt gerne kennenlernen.“
„Mrs Thornsberry?“
„Stephanies Nanny.“
„Oh.“ Verlegen begleitete sie Nick, als er den Rollstuhl zur Vordertür schob. Ihre Arbeit als Polizistin in Logan Falls würde sich ziemlich von der in Chicago unterscheiden.
Das Farmhaus war umgeben von ein paar Morgen Land. Ein großer Ahornbaum spendete Schatten im Garten an der Seite des Hauses. Dahinter lag eine kleine Scheune. Der daran grenzende kreisförmige Pferch zeugte von Banditos aktiveren Tagen. Erin fand es schade, dass Stephanie nicht mehr ritt. Die Kindheit war so kostbar, und es tat ihr leid, dass das kleine Mädchen etwas davon verpasste.
Die Eingangstür öffnete sich. „Nick? Stephanie? Um Himmels willen, was macht ihr den um diese Uhrzeit hier?“ Eine kleine, rundliche Frau mit grauem Haar und Brille begrüßte sie mit einem mütterlichen Lächeln. „Haben wir einen Gast?“
„Darf ich vorstellen: Deputy McNeal.“ Nick sah Erin an. „Mrs Thornsberry.“
Erleichtert stellte Erin fest, das Stephanie und Nick eine starke Frau in ihrem Leben hatten. Mrs Thornsberry war zwar bestimmt schon an die siebzig Jahre alt, doch Erin konnte an ihrem Blick sehen, dass sie alles andere als gebrechlich war. Sie war nicht viel größer als einen Meter fünfzig, aber hinter der freundlichen Fassade und Stimme ruhten großmütterliches Mitgefühl und Weisheit genauso wie der eiserne Wille eines Fünf-Sterne-Generals.
„Freut mich, Sie kennenzulernen“, sagte Erin ehrlich.
Mrs Thornsberry blickte ihr fest in die Augen. „Willkommen in Logan Falls.“ Dann wandte sie
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