Der Bedrohung so nah (German Edition)
weiß.“ Erin sehnte sich danach, ihre Hand auszustrecken, um sein männliches Kinn zu berühren. Mit den Fingern über seine Schultern zu fahren, um seine Verspannungen zu lösen. Seine zu Fäusten geballten Hände in ihre zu nehmen, um sie behutsam zu öffnen. Doch sie tat nichts dergleichen, denn sie wusste, dass es nicht das war, was er brauchte. Ihre Blicke trafen sich. Selbst in der Dunkelheit fühlte sie sich nackt, wenn er sie ansah. Sie hätte ihm gern erzählt, dass auch körperlich behinderte Kinder mit einer speziellen Ausrüstung und einer erwachsenen Begleitperson reiten konnten. Doch instinktiv spürte sie, dass dies der falsche Zeitpunkt dafür war. Viel zu dicht schlummerten seine Gefühle an der Oberfläche. Er würde nicht wollen, dass sie zum Vorschein kamen, wenn sie weiter in ihn drang.
Sie schwiegen beide für einige Minuten. Erin wusste, dass er Zeit brauchte, und gab sie ihm. Außerdem war sie sich nicht sicher, was sie tun würde, wenn der starke Mann, für den sie immer mehr Respekt empfand, zusammenbrach. Das Bedürfnis, ihn berühren, war stark, sie selbst hingegen fühlte sich ausgesprochen schwach.
„Besteht die Möglichkeit, dass sie irgendwann wieder gehen kann?“
„Sie wurde bereits zwei Mal operiert, und der Neurochirurg ist optimistisch.“
„Hat sie Schmerzen?“
„Zum Glück nur selten. Meistens können sie mit entzündungshemmenden Mitteln unter Kontrolle gebracht werden“, sagte er. „Sie hat etwas Gefühl und ein bisschen Kraft in ihrem linken Bein. Aber in den letzten Monaten hat sich eine posttraumatische Störung entwickelt. Sie leidet an einer Syringomyelie.“
„Das ist eine Erkrankung des Rückenmarks, die nach einer Verletzung oder einer Operation entstehen kann, oder? Eins der Kinder, mit denen ich in Chicago gearbeitet habe, litt daran.“
Er musterte sie aufmerksam. Anscheinend hatte er nicht erwartet, dass sie mit der Krankheit etwas anfangen konnte. „Die meisten Leute haben noch nie davon gehört.“
„Es gibt da eine Operation …“
„Laminektomie und Duraplastik.“ Nick verzog das Gesicht. „Bislang nicht ausreichend getestet und nicht ohne Risiken.“
„Was für Risiken?“
Wieder umspielte der Hauch eines Lächelns seinen Mund. „Es war klar, dass diese Frage von Ihnen kommen musste, oder?“
„Was wäre das bestmögliche Ergebnis?“ Erin blieb beharrlich.
„Im besten Fall würde Stephanie das Gefühl in ihren Beinen zurückbekommen und sofort mit einer Physiotherapie beginnen können. Im schlimmsten Fall bildet sich neues Narbengewebe, oder die Wirbelsäule wird beschädigt. Beides hätte weitere Lähmungen zur Folge, die Stephs Lebensqualität wesentlich verschlechtern könnten. Wenn wir nichts tun und abwarten, besteht immerhin die Chance, dass sie irgendwann mit einer Gehhilfe wieder laufen kann.“
Erin dachte über seine Worte nach und fragte sich, wie sie selbst in dieser schwierigen Situation entscheiden würde. „Und Sie sind bereit, sich damit zufriedenzugeben?“
„Ich habe sie schon einmal fast verloren.“ Nick sah über die Auffahrt hinüber zu dem Zaun, an dem Bandito graste. „Ich werde es kein zweites Mal riskieren.“
Nick wusste selbst nicht so genau, warum er sich Erin anvertraut hatte. Vielleicht weil er spürte, dass sie anders war als die meisten Menschen und ihn verstand. Sie hatte selbst eine tragische Vergangenheit. Vielleicht war das die Gemeinsamkeit, die sie verband.
Es war lange her, dass er mit jemandem über den Unfall geredet hatte. Und darüber, welche verheerenden Folgen er für das Leben seiner Tochter und sein eigenes gehabt hatte. Es waren vor allem die dunklen Monate danach, über die er nur ungern sprach. Am liebsten hätte er dieses Kapitel seines Lebens beerdigt. Monatelang hatte er getrauert. Es war die Art von tiefer schwarzer Trauer, die einen überkam, wenn man einen Seelengefährten verloren hatte. Er hatte diese Trauer, so gut es ging, unter Verschluss gehalten, da sie sonst wie ein Gift aus ihm herausgeströmt wäre. Er konnte und wollte nicht zulassen, dass Stephanie damit in Berührung kam.
Er schob die Gedanken an die Vergangenheit beiseite und sah Erin an. Sie lehnte gegen den Wagen und blickte in Richtung der Wiese, auf der man Bandito grasen hörte.
„Es tut mir leid, dass ich Sie so angefahren hab“, sagte er. „Das war völlig unangebracht.“
„Wissen Sie, Chief, ich gewöhne mich langsam daran, von Ihnen angeschrien zu werden.“
Spielerisch stieß sie
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