Der Benedict Clan 05 - Fremder Feind
werde ich dich noch einmal an unsere Abmachung erinnern. Ich habe meinen Teil eingehalten."
Seine Stimme war unerbittlich. Sie glaubte, er wollte sie die Tatsache einsehen lassen, dass sie noch immer nicht frei war, obwohl sie die Taliban hinter sich gelassen hatte. Er schien eine Art Mitleid anzudeuten, als dächte er, sie habe keine Kontrolle über das, was sie am Leib trage.
Das war nicht hinnehmbar. Mit einer raschen Bewegung packte sie den Stoff und hob ihn an, bis sie sich in ihm verfangen hatte, nichts sehen konnte und von der Enge nahezu erstickt wurde. Dann endlich hatte sie die nicht enden wollenden Meter Stoff über den Kopf gezogen und warf sie mit einer verächtlichen Geste zu Boden.
Sie fühlte sich entblößt, ihr war kalt. Sie verspürte ein merkwürdiges, unsinniges Entsetzen. Sie hob eine Hand, als wollte sie den Schal, den sie sich ausgeliehen hatte, um ihr Haar zu bändigen, packen und vor ihr Gesicht ziehen. Mitten in der Bewegung wurde ihr bewusst, dass sie nicht mehr innehalten konnte. Um das zu überspielen, zog sie den Schal vom Kopf, so dass Wade ihren Kopf, ihren Hals, ihre Ohren, einfach alles ungehindert betrachten konnte. Es kostete sie ihren ganzen Stolz, den sie besaß, und all ihren Mut, um das Kinn zu heben und Wade über das Feuer hinweg anzusehen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie aussah, da sie schon seit Jahren nicht mehr in einen Spiegel geschaut hatte. Sie spürte, wie der kühle Wind mit ihrem Haar spielte und bis zu ihrer Kopfhaut vordrang. Diese Empfindung war so extrem befriedigend, dass sie eine Gänsehaut bekam, während ein Gefühl der Panik auf ihrer Brust zu lasten begann und sie zu ersticken drohte.
„Mein Gott", sagte Wade leise.
Sie schluckte und wurde sich dessen bewusst, dass er selbst dieses Schlucken sehen konnte. Erst dann ließ sie ihren Blick, der auf einem Punkt irgendwo hinter dem Mann geruht hatte, zu seinen Augen wandern. Sie griff zur Wut, weil die vertraut war und ihr Kraft gab. „Also gut, die Burqa ist runter. Bist du jetzt endlich zufrieden?"
„Ich bin begeistert", antwortete er. Um seinen Mund zeichnete sich ein schwaches Lächeln ab. „Ehrlich."
Sie sahen sich an, und der Schein des Feuers tauchte ihre Gesichter in Rot und Gold, als sie plötzlich einen gellenden Schrei hörten, gefolgt vom Poltern eines Steins, der bergab rollte.
10. KAPITEL
Noch bevor das Geräusch verhallen konnte, war Wade aufgesprungen, um hinter sich zu greifen und die Waffe aus seinem Hosenbund zu ziehen. Er bedeutete Chloe, sich nicht von der Stelle zu rühren, dann entfernte er sich vom Feuer. Sekunden später verschmolz seine große Gestalt mit der Dunkelheit. Chloe horchte angestrengt, konnte aber nichts hören, was darauf hindeutete, wo er sich befand oder in welche Richtung er sich bewegte.
Sie selbst war dagegen im Schein des Lagerfeuers viel zu gut zu sehen. Der Wunsch, so wie Wade eins mit der Dunkelheit zu werden, war fast übermächtig. Das Einzige, was sie davon abhielt, das in die Tat umzusetzen, war die Befürchtung, er könnte sie unter den schlechten Sichtverhältnissen für eine Angreiferin halten.
Minuten später hörte sie Stimmengemurmel. Wade kehrte an den Rand der kleinen Lichtung zurück, auf der sie abgebrochene Zweige und Aste für ihr Feuer gesammelt hatten. Die Waffe hielt er nicht mehr in der Hand, doch Chloe erkannte, dass sie sich unter seinem Hemd abzeichnete, als er sich zu jemandem umdrehte, der sich hinter ihm befand. Dann ließ er einen Mann und eine Frau passieren, denen zwei Kinder folgten, ein etwa sechs Jahre alter Junge sowie ein Mädchen, das etwas jünger zu sein schien.
Nach ihrer Kleidung zu urteilen, handelte es sich bei ihnen um Usbeken, die aus der westlichen Region stammten. Sie waren weit gereist, und ihren Schuhen nach zu urteilen, hatten sie den größten Teil ihrer Reise zu Fuß zurückgelegt. Ihre Gesichter waren grau vor Staub und ließen ihre Erschöpfung erkennen. Die Frau ging ein Stück hinter dem Mann, hatte den Kopf gesenkt und drückte die Kinder an sich. Der Mann war hager, machte aber keinen schwächlichen Eindruck. Sein langes, schmales Gesicht wurde von einem dunklen Bart umrahmt, und seine Augen, unter denen tiefe Schatten lagen, blickten immer wieder zwischen Wade und Chloe hin und her.
„Ihr stammt aus dem Westen", sagte der Mann. „Aus den Vereinigten Staaten, richtig?"
„Du hast Augen, um zu sehen, weiser Mann", antwortete Chloe, als Wade schwieg. „Kommen Sie, setzen Sie sich zu
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