Der Berg der Sehnsucht: Big Sky Mountain (German Edition)
ungehalten. Er wollte endlich weiterfahren, er wollte sich von der Stelle bewegen, er wollte sich auf sein Pferd setzen und so schnell übers Land reiten, wie es nur ging. Er wollte den Big Sky Mountain zu Fuß besteigen. Hauptsache, er musste nicht an einem Punkt verharren.
„Wie du willst.“ Boone zog seinen Block heraus, schrieb einen Strafzettel aus und reichte ihn Hutch durchs Fenster. Der riss ihm den Zettel aus der Hand und konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, ihn zu zerknüllen und gleich wieder aus dem Fenster zu werfen.
„Danke“, sagte er und warf Boone einen wütenden Blick zu.
Der musste lachen. „Ich würde ja ‚Gern geschehen‘ sagen, aber das wäre gelogen.“ Er ließ Hutch nach wie vor nicht aus den Augen. „Ich bin nicht im Dienst und eigentlich auf dem Weg nach Hause, jedenfalls war ich das bis zu dem Moment, als du wie ein Irrer an mir vorbeigeschossen bist. Was hältst du davon, wenn du hinter mir herfährst? Dann trinken wir bei mir ein paar Bier und bemitleiden uns gegenseitig.“
Hutch musste lachen, und obwohl er es eigentlich nicht wollte, willigte er zähneknirschend ein. „Also gut“, brummte er. „Solange du mich nicht erst mit Alkohol abfüllst und mich dann anhältst, weil ich was getrunken habe.“
„Darauf gebe ich dir mein Wort“, versprach Boone grinsend. „Wir sehen uns gleich bei mir.“ Dann kehrte er zu seinem Streifenwagen zurück, dessen Blaulicht noch immer eingeschaltet war, was ein paar vorbeikommende Autofahrer zum Gaffen veranlasste.
Boones Grundstück lag am anderen Ende von Parable, eine Seite grenzte an den Fluss, eine andere stieg sanft an und ging allmählich in die Ausläufer der Berge über. Doch trotz der erstklassigen Lage sah es dort aus, als würde der Eigentümer schwere Zeiten durchmachen. Der große Trailer bot einen scheußlichen Anblick, ringsum standen ein paar ausgeschlachtete Schrottautos im hohen Gras. Am Trailer war überall Rost zu entdecken, die behelfsmäßige Veranda war in der Mitte eingesunken. Davor stand eine alte Toilette, aus der ein paar vertrocknete Blumen ragten. Boone und seine Frau Corrie - die niemals ein Toilettenbecken im Vorgarten geduldet hätte - waren sich einig gewesen, nur so lange im Trailer zu leben, bis ihr bescheidenes Traumhaus errichtet war, doch als Corrie dann vor ein paar Jahren an Brustkrebs starb, schien Boones Leben komplett zum Stillstand gekommen zu sein.
Hätte er einen Hund gehabt, dann hätte er ihn weggegeben, davon waren die Leute überzeugt. Immerhin hatte er seine beiden kleinen Söhne Griffin und Fletcher zu seiner Schwester nach Missoula geschickt, weil er meinte, sie seien dort besser aufgehoben. Die Bewerbung für den Posten des Sheriffs, der frei geworden war, weil Slade sich nicht hatte wiederwählen lassen wollen, war das erste echte Lebenszeichen gewesen, das Boone nach Corries Beisetzung von sich gegeben hatte. Allgemein war man davon ausgegangen, dass er sich nun endlich wieder in den Griff bekam und seine Jungs nach Parable holte, wo sie hingehörten.
Hutch stellte seinen Truck hinter dem Streifenwagen ab und verspürte Mitleid mit seinem alten Freund. Boone hatte Corrie von der ersten Schulklasse an geliebt, und in gewisser Weise war es so, als hätte er sich nach ihrem Tod einfach aufgegeben und wäre zu ihr ins Grab gekrochen.
„Ich könnte schwören, dass es hier jedes Mal ein bisschen übler aussieht als davor“, stellte Hutch beim Aussteigen fest. Er hätte von zwei aufgeweckten Jungs begrüßt werden sollen, die Abend für Abend darauf warteten, dass ihr Dad von der Arbeit heimkam. Und von einem Hund, der erfreut bellte, vielleicht auch von einer Frau, die auf der Veranda stand und nach ihm Ausschau hielt.
Doch nichts davon entsprach der Realität, und die war so totenstill wie ein Friedhof.
„Du hörst dich schon an wie diese Hühnerfarmerin“, gab Boone ironisch zurück und deutete mit dem Daumen über die Schulter in Richtung des Nachbargrundstücks, auf dem sich im letzten Jahr Tara Kendall niedergelassen hatte. „Sie sagt, von meinem Trailer kriegt man Augenschmerzen.“
Hutch musste grinsen. „Da liegt sie gar nicht so verkehrt.“ Um es nicht zu übertreiben, wechselte er das Thema. „Wie geht es den Jungs?“
Auf dem Weg zur eingesunkenen Veranda drehte Boone den Kopf zu ihm um. „Sie sind bei ihrer Tante und ihrem Onkel und dem ganzen Rest gut aufgehoben. Fang jetzt also nicht damit an.“
Im Spaß hob er abwehrend die Hände. „Von mir
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