Der Berg der Sehnsucht: Big Sky Mountain (German Edition)
verschlingen.
Sie war über alle Maßen erfreut, als der Postbote hereinkam, obwohl er für sie nur einen Stapel Rechnungen und Wurfsendungen hatte. Sie war völlig begeistert, als die Politesse vorbeischaute, um nur mal einen guten Tag zu wünschen.
„Ich drehe langsam durch“, vertraute sie Daisy an, als sie mit der Hündin wieder allein in dem stillen Raum war. „Du wurdest von einer Verrückten adoptiert.“
Daisy musterte sie kurz, gähnte ausgiebig, machte die hübschen braunen Augen wieder zu und schlief weiter.
„Tut mir leid, ich wollte dich nicht langweilen“, sagte sie leise.
Daisy reagierte mit einem unüberhörbaren Schnarcher.
Als es drei Uhr war, fühlte sich Kendra wie kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Sie atmete erleichtert auf, als sie Daisy endlich die Leine anlegen und das Licht im Laden ausmachen konnte. Nachdem sie die Tür abgeschlossen hatte, rannte sie regelrecht zu ihrem Wagen.
Am Gemeindezentrum angekommen, wartete Madison bereits auf sie, und zwar zusammen mit ihrer Lehrerin Miss Abbington, die gar nicht glücklich dreinschaute.
„Was ist los?“, fragte Kendra, sobald sie ausgestiegen und um den Wagen herumgelaufen war.
„Ich glaube, diese Frage sollte Madison beantworten“, erwiderte die zierliche, ernste Frau mit dem spitzen Gesicht, das ihr etwas extrem Wachsames verlieh - also genau die Eigenschaft, die Kendra bei einem Menschen schätzte, in dessen Obhut sich ihre Tochter jeden Tag für etliche Stunden befand.
Madisons Wangen waren rot angelaufen, aber das Kinn hatte sie trotzig vorgeschoben. „Ich war unwichtig“, sagte sie zu Kendra.
„Uneinsichtig“ , korrigierte Miss Abbington sie prompt.
„Was ist denn passiert?“, wollte Kendra besorgt von ihrem kleinen Mädchen wissen. Wie konnte man eine Vierjährige als „uneinsichtig“ bezeichnen? Nannte man so nicht Schwerverbrecher, die wieder und wieder im Gefängnis landeten?
„Ich habe die ganze Klasse verstört“, antwortete die Kleine.
„Gestört“ , warf Miss Abbington ein.
Nach einem vielsagenden Blick in Richtung der Frau konzentrierte Kendra sich wieder ganz auf ihre Tochter. „So was ist nicht gut, Madison. Aber was genau hast du denn gemacht?“
Madison straffte ihre schmalen Schultern und befreite sich mit einem Ruck aus Miss Abbingtons Griff. „Ich habe mir die Cowgirl-Stiefel von Becky Marston geborgt“, gestand sie ohne Spur von Reue. „Als sie sie ausgezogen hat, um ihre Turnschuhe für den Turnunterricht anzuziehen.“
„Ohne Erlaubnis“, unterstrich Miss Abbington. „Und als Becky ihre Stiefel wiederhaben wollte, da hast du ihr gesagt, dass du noch nicht fertig bist.“
„Madison“, seufzte Kendra. „Wir haben doch beim Frühstück über die Sache mit den Stiefeln gesprochen, weißt du nicht mehr?“
„Ich wollte nur wissen, wie das ist, wenn man sie anhat“, erklärte Madison. Das leichte Zittern ihrer Unterlippe ließ erkennen, dass sie ihrer Sache inzwischen nicht mehr ganz so sicher war. „Ich wollte sie ihr ja morgen zurückgeben.“
Kendra sah Miss Abbington an. „Ich kümmere mich von hier an darum“, sagte sie.
„Na gut“, erwiderte die andere Frau und ging zurück ins Gebäude.
„Es ist verkehrt, wenn man etwas nimmt, was einem anderen gehört, Madison. Das weißt du doch.“
Im Auto steckte Daisy die Schnauze durch einen Spalt im Fenster und begann zu winseln, während Madison Tränen in die Augen stiegen, weil es ihr leidtat. Sie war keines von den Kindern, die zu weinen anfingen, nur um ihren Willen durchzusetzen.
„Bist du böse mit mir, Mommy?“
„Nein“, antwortete Kendra und musste sich ein Grinsen verkneifen, da sie sich ungewollt vorstellte, wie Madison in geliehenen Stiefeln umherstapfte. Das ist nicht witzig, ermahnte sie sich, doch das half nicht viel.
„Darf ich trotzdem zum Haus vom Cowboy-Mann und auf einem Pferd reiten?“
Eine Absage wäre insofern sinnvoll gewesen, als dass Madison dann darüber hätte nachdenken können, welche Folgen es hatte, wenn sie etwas anstellte. Aber Kendra war aus zwei Gründen dagegen. Zum einen wusste sie, dass Madisons grenzenlose Enttäuschung in keinem Verhältnis zu ihrem Handeln stehen würde, und zum anderen würde sie mit Hutch einen neuen Termin ausmachen müssen. Sie wusste nicht, ob sie es aushalten würde, noch länger zu warten. Sie war schon jetzt mit den Nerven am Ende.
„Ja“, sagte sie, als sie zum Wagen gingen und Kendra ihr in den Kindersitz half. Daisy war sofort zur
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