Der Berg der Sehnsucht: Big Sky Mountain (German Edition)
Stelle, um Madison zur Begrüßung das Gesicht abzulecken. „Du kannst trotzdem bei Mr Carmody auf einem Pferd reiten. Aber morgen entschuldigst du dich bei Miss Abbington und bei Becky für das, was du heute getan hast. Einverstanden?“
Madison dachte über ihre Frage nach, als sei es bloß ein unverbindlicher Vorschlag, nicht aber eine klare Aufforderung. „Okay“, stimmte sie schließlich zu. „Trotzdem finde ich, dass Becky eine große Heulsuse ist.“
„Übertreib es lieber nicht“, warnte Kendra sie und ließ den Motor an.
„Das wär alles nicht passiert“, argumentierte Madison daraufhin, „wenn ich meine eigenen Stiefel hätte.“
Kendra kniff einen Moment lang die Augen zu und verkniff sich ein Lachen. Sie wollte aus Madison kein ängstliches Mädchen machen, das sich nicht traute, den Mund aufzumachen. Aber eine vorlaute, anmaßende Madison sollte sie auch nicht werden.
„Wenn ich noch ein Wort über diese Stiefel höre“, sagte sie und sah ihre Tochter im Rückspiegel an, „dann gibt es keinen Besuch auf Mr Carmodys Ranch, du wirst nicht reiten, und der Tag beim Rodeo findet ganz sicher auch nicht statt.“
Madison kniff die Lippen zusammen. Offenbar hatte sie noch einiges mehr zu sagen, aber sie war klug genug, den Mund zu halten. Der Ritt auf einem Pferd war ihr eindeutig wichtiger.
Nach einem kurzen Zwischenstopp zu Hause, wo Kendra und Madison sich umzogen, weil Jeans und T-Shirt für den Nachmittag angenehmer waren, machten sie sich gemeinsam auf den Weg zur Whisper-Creek-Ranch.
Unterwegs hielt sich Kendra vor Augen, dass sie aus dem Besuch bei Hutch eine viel zu große Sache machte. Nichts Weltbewegendes würde geschehen. Vielmehr würde er ein Pferd aus dem Stall holen, Madison in den Sattel setzen und sie ein paar Minuten lang über den Hof führen - und das war dann auch schon alles.
Sie und Madison konnten dann gleich wieder nach Hause fahren, und alle waren zufrieden.
Vor ihnen ragte in einiger Entfernung der Big Sky Mountain in den Himmel, während sie sich der Ranch näherten. Wenn es in Parable oder Umgebung eine Sache gab, die Kendra sofort an Hutch Carmody denken ließ, dann war es dieser Berg. Wie oft waren sie mit den Pferden hinaufgeritten oder hatten ihn zu Fuß bezwungen, um diese verborgene Aussparung im Fels zu finden, die ihm so viel bedeutete. Wie oft hatten sie beide da oben gesessen und geredet und gelacht und sich im warmen Sonnenschein und im silbrigen Licht der Sterne geliebt?
Sie bemerkte, dass ihr Hals und die Wangen mit einem Mal glühten.
Zu oft, dachte sie mit finsterer Miene, viel zu oft.
Es war wundervoll gewesen.
Und dann war ihre Großmutter hinter die Affäre gekommen, vermutlich indem sie einfach Kendras Tagebücher gelesen hatte. „Du bist genau wie deine Mutter, ich kann dir genauso wenig von hier bis zur nächsten Ecke trauen wie ihr. Wenn du mir ankommst und sagst, du bist schwanger, dann wasche ich meine Hände in Unschuld.“
Kendra hatte alles getan, um nicht schwanger zu werden, aber nicht etwa, weil die Drohung ihrer Großmutter ihr Angst gemacht hätte. Vielmehr wollte sie Hutch nicht das Gefühl geben, von ihr reingelegt worden zu sein, damit er sie heiratete, weil sie von ihm ein Kind erwartete. Ein paar Mitschülerinnen hatten diesen Trick bei ihren Freunden versucht, und die Ergebnisse waren, zurückhaltend formuliert, sehr ernüchternd gewesen.
Zwar hatte sie Hutch geliebt - und manchmal fürchtete sie, dass sie das immer noch tat -, doch ihr Wunsch war es gewesen, zuerst einmal aufs College zu gehen. Ja, sie hatte Kinder haben wollen, aber erst dann, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war. Da sie wusste, wie es sich anfühlte, durch die bloße Existenz einem anderen Menschen zur Last zu fallen, hatte sie beschlossen, zu warten und erst dann eine Familie zu gründen, wenn sie und Hutch beide bereit waren.
Aber dann war sie Jeffrey Chamberlain begegnet. Anfangs war es nur eine harmlose Freundschaft gewesen. Sein Akzent, sein trockener britischer Humor und seine Manieren hatten sie fasziniert. Dennoch hatte sie ihn nicht aus Liebe geheiratet. Sie hatte ihn lieben wollen, so wie sie das märchenhafte Leben hatte führen wollen, das er ihr bot. Sie hatte für vollendete Tatsache sorgen wollen, damit sie sich endlich wieder ihrem Leben widmen konnte.
Doch bis zu dem Moment, als sie in der Kirche vor dem Altar stand, um Jeffrey das Jawort zu geben, hatte sie immer noch erwartet, dass Hutch sich zu Wort melden, sie für sich
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