Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
Vom Netzwerk:
gefunden hatte. Marvel versuchte, sich zu entsinnen, was ihn so furchtbar gequält hatte  – eine schlechte Gesundheit oder Geldmangel oder einfach die Tatsache, dass er so verdammt hässlich und mit Joy Springer verheiratet war. Doch er wusste nicht mehr genau, ob sie es ihm erzählt hatte. Er erinnerte sich daran, verblüfft gewesen zu sein, dass die alte Schachtel wegen irgendetwas anderem als der Tatsache, dass der Cinzano alle war, so gefühlsduselig geworden war. Schien gar nicht zu ihr zu passen.
    Na, wie dem auch sei, das alles war jetzt ein bisschen unklar.
    Marvel rieb sich die Augen und das Gesicht. Reynolds würde die Truppe antreten lassen; es wäre nicht das erste Mal. Er stemmte sich auf die unsicheren Beine und erblickte das Weiß draußen. Schnee, der alles schwarz und weiß erscheinen ließ, tief genug, dass er den Kies auf dem Hof nicht sehen konnte, nicht einmal durch die Fuß- und Reifenspuren, die zeigten, dass Reynolds die Truppe tatsächlich hatte antreten lassen und dass sie bereits aufgebrochen waren.
    Sein Handy klingelte, und er fand es unter einer weiteren Katze auf der Ecke des Couchtisches.
    »Ich habe gute und schlechte Nachrichten«, verkündete Jos Reeves, und sein Tonfall verriet Marvel, dass er sich sogar über die schlechten Nachrichten freute, was ihn augenblicklich auf die Palme brachte.
    »Lassen Sie den Scheiß, Reeves.«
    »Okay«, antwortete Reeves und machte dann weiter mit dem Scheiß. »Die gute Nachricht ist, dass es ein forensisches Bindeglied zwischen den beiden Tatorten gibt.«
    Marvel blieb stumm; er war fest entschlossen, Reeves nicht die Befriedigung zu gönnen, dass er sich nach den schlechten Nachrichten erkundigte. Doch sein Herz machte trotzdem
einen Satz, wie immer, wenn die Wissenschaft einem Verdächtigen ein Siegel aufdrückte.
    »Die schlechte Nachricht«, sagte Reeves mit einer Stimme, in der unterdrücktes Gelächter mitschwang, »ist, dass es einer von Ihren eigenen Leuten ist.«
     
    Von ihrem Schlafzimmerfenster aus sah Mrs. Paddon zu, wie Jonas ihren Gartenweg freischaufelte. Sein Vater hatte das früher auch immer getan.
    Obgleich Jonas ihr außerdem oft anbot, Brot oder eine Zeitung für sie einzukaufen, zog Mrs. Paddon es vor, trotz ihrer neunundachtzig Jahre zu Fuß ins Dorf zu gehen. Schließlich hatte sie einen Regenschirm und ein Paar feste, wasserdichte Stiefel.
    Sie sprach nicht oft mit Jonas, aber sie liebte ihn sehr. Das hatte sie immer schon getan  – von dem Tag an, als Cath und Des ihn vom Krankenhaus heimgebracht hatten, ganz rot und verschrumpelt. Obwohl die Wand zwischen den Cottages dick war, hatte sie ihn manchmal brüllen hören, und dann hatte sie jedes Mal den Atem angehalten, bis es aufhörte und sie sicher war, dass Cath zu ihm gegangen war. Manchmal hatte sie wach gelegen und sich gefragt, was sie wohl tun würde, wenn das Geschrei des kleinen Jonas einfach immer weiterging, und in ihren eher törichten Anwandlungen hatte sie sich vorgestellt, dass sie ihn retten und ihn mit ins Bett nehmen müsste, um mit ihm zu kuscheln wie mit einem Kätzchen.
    Jetzt lächelte sie schwach bei dieser Erinnerung und über den abstrusen Gedanken an dieses winzige Baby und den hochgewachsenen Mann dort unten.
    Hin und wieder richtete Jonas sich auf und starrte über das karstige Moor. Sie fragte sich, wieso. Konnte er etwas Verdächtiges ausmachen? Sie schaute in dieselbe Richtung, doch alles war wie immer  – das wellige Hochmoor und die andere Seite des Dorfes, das sich an seinen Fuß schmiegte,
alles in jungfräuliches Weiß gehüllt, von dem ihr die Augen schmerzten.
    Schreckliche Geschichte, diese Morde. Sie hatte Yvonne Marsh vom Sehen gekannt, Margaret Priddy und sie jedoch waren Freundinnen gewesen  – obwohl Mrs. Paddon gegen die Fuchsjagd war. So sehr dagegen, dass sie gelegentlich sogar ihre wasserdichten Stiefel angezogen und sich, mit einer Thermosflasche Tee und einem kleinen Holzschild ausgerüstet, zu den Saboteuren auf dem Dorfanger aufgemacht hatte. Das Schild hatte sie selbst gemacht: Füchse sind auch Menschen. Die jungen Demonstranten mit ihren Wollmützen und ihren Nasenringen waren immer nett zu ihr gewesen, und wenn Margaret vorbeigeritten war, hatte sie ihr immer mit ihrem Schild zugewinkt, und sie hatten ein bisschen geplaudert. Als das zum ersten Mal geschah, war einer der Demonstranten herbeigestürzt und hatte Margaret »verdammtes Miststück« genannt, und Mrs. Paddon hatte ihm eins mit ihrem Schild

Weitere Kostenlose Bücher