Der Bestienhelm
im Schloss ein! Noch wird in der Stadt und an Teilen der Mauern gekämpft. Die anderen reiten mit mir. Heute nacht wird Ruhe in Nyrngor herrschen. Ich hätte nicht gedacht, dass Königin Elivara ihren Bruder allein zurücklässt, wenn sie flüchtet. Oder verbirgt sie sich noch in der Stadt? Gleichviel, wir werden sie finden.«
Er warf noch einen langen, prüfenden Blick auf Hester. Der Junge schien sich vor ihm zu fürchten. Coerl O'Marn kämpfte nicht gegen alte Frauen und schwachsinnige Kinder; er hob die gepanzerten Schultern und lachte noch einmal kurz auf.
»Niemand hat gesehen, dass jemand die Stadt verlassen hat!« sagte einer der Krieger. »Natürlich kann es geschehen sein.«
»Wir werden Elivara suchen«, versicherte der Ritter, gab ein Zeichen und verließ mit schweren Schritten den Saal.
Eine Dienerin löste sich aus der Dunkelheit einer Türnische und glitt auf Hester zu. Sie nahm die Hand des Jungen, zog ihn unter dem Thron hervor und brachte ihn in eine Kammer. Während die Schritte der Soldaten auf den Treppen verhallten, mischte die Frau ein einschläferndes Mittel in einen Becher angewärmter Milch und hielt den Trunk an die Lippen des Halbblinden. Hester trank gierig und wurde schlagartig müde.
Die alte Frau bettete ihn auf ein Lager, zog die schweren Vorhänge davor zusammen und verließ den Raum. Sie versteckte ihr weißes Haar unter ihrem schwarzen Umhang und passierte ungehindert alle Wachen, selbst die Posten vor dem Tor zu Fordmore. Der Tag graute bereits.
Die Dienerin huschte entlang den Mauern und Hausfronten. Sie lief dorthin, wo sie noch den Lärm letzter Kämpfe hörte. Sie hoffte zitternd, dass sie denjenigen finden werde, der als einziger vielleicht noch in der Lage war, etwas zu ändern.
Die Truppen der Caer im achtunddreißigsten Jahr Arwyns, waren tapfer, schnell und zäh. Sie hatten Nyrngor belagert und weitestgehend erobert, aber längst nicht jeden Winkel gesehen.
Dhorkans verzweifelter Plan stützte sich auf diesen Umstand. Er hoffte nur, dass er wenigstens ein bisschen Glück haben würde. Er selbst würde ja zweifellos durchkommen. Die größere Menge Glück brauchten die Nyrngorer, die er in aller Eile zusammengerufen hatte.
Noch hielt die Barriere, auf der er zusammen mit vier anderen Männern kämpfte. Sie befand sich zwischen zwei halb abgebrannten Häusern rechts vom Nordtor, durch das soeben die letzten Angreifer hereinströmten.
Dhorkan, der Anführer der Leibgarde Königin Elivaras, war erschöpft, von kleinen Wunden bedeckt und ohne viele Hoffnungen. Er hatte miterlebt, wie viele seiner Kameraden gestorben waren. Andere, die an verschiedenen Punkten der Stadt versucht hatten, die Erstürmung zu verhindern, mochten gefangen, verwundet oder ebenfalls tot sein. Mit schier übermenschlicher Kraft riss Dhorkan einen Steinbrocken hoch, schleuderte ihn abwärts und schmetterte einen Caer, den er am Kopf traf, zu Boden.
Dann winkte er und rief: »Es ist sinnlos. Kommt, Freunde!« Vor wenigen Augenblicken hatte Dhorkan mit ein paar Getreuen auf der Stadtmauer gekämpft. Er hatte seinen Platz verlassen, als er sah, dass sie niemandem halfen, wenn sie weiterhin von hier oben Speere und Steine schleuderten. Auch dieses Tor war aufgebrochen.
Von den Zinnen hatte Dhorkan gesehen, dass die Caer den Strand entlang dem Lager, die Hafenzone und schließlich das Wasser jenseits der Schiffe absuchten. Zweifellos suchten sie nach Elivara und Mythor. Es sah nicht so aus, als hätten sie Erfolg gehabt.
Dhorkan rannte über kippende Balken, zerbrochene Möbelstücke und Gebäudetrümmer. Seine Kameraden folgten ihm schweigend. Sie liefen durch einen Hauseingang, kamen in einen kleinen, versteckten Hof, der sich direkt an einige Dächer und die Stadtmauer anschloss. Der Hof war gedrängt voll mit Menschen, Pferden und Gepäck. Es waren hauptsächlich junge Verteidiger mit ihren Frauen oder Familien, schätzungsweise sechzig Leute. Zwei von ihnen standen an einem schmalen Tor in der Stadtmauer.
Auf der anderen Seite der Mauer war dieses Tor durch aufgesetztes Mauerwerk kaschiert. Büsche und gewachsener Fels befanden sich rechts und links davon. Es gab nicht die Spur eines Pfades.
»Los! Wir brechen aus! Schnell, öffnet die Pforte!« schrie Dhorkan und schwang sich auf den Rücken eines Pferdes. Sie hatten zusammengerafft, was sie hatten finden können. Es ging ums nackte Überleben, draußen in den öden Feldern des Landes rund um Nyrngor, in Höhlen und Einödhöfen.
Die
Weitere Kostenlose Bücher