Der Beutegaenger
und er fackelt nicht lange. Er beobachtet die Frauen, aber er ist kein gewöhnlicher Spanner. Vermutlich will er seine Opfer einfach nur kennenlernen. Ihre Gewohnheiten. Um keine Fehler zu machen. Er ist ein Sicherheitsfanatiker. Ein Kontrolleur. Wenn er Gewalt anwendet, unterliegt sie einem bestimmten Zweck, und falls er wütend ist, hat er diese Wut zumindest so weit unter Kontrolle, dass sie ihm keinen Strich durch die Rechnung macht. Er beherrscht seine Emotionen, nicht umgekehrt.«
Bredeneys Brille schlug gegen die Tischkante, als er sich vorbeugte. »Dass er die Frauen nicht mit bloßen Händen erwürgt, sondern mit einem Schal erdrosselt, könnte bedeuten, dass er seinen Opfern mit einer gewissen Distanz begegnet.«
Verhoeven sah Winnie Heller an, die mit unbewegter Miene hinter ihrem leeren Schreibtisch saß. Etwas Ähnliches hat sie schon vor zwei Tagen gesagt, dachte er. Dass die Art, wie dieser Täter mit den Frauen umgeht, nichts Leidenschaftliches an sich hat. Zumindest keine Leidenschaft, die mit den Opfern selbst zusammenhängt. Sie ist gut, dachte er. Eine glatte Eins in Psychologie.
»Unser Mann scheut den direkten Hautkontakt und verzichtet auf jede Form von sexuellem Missbrauch«, fuhr Bredeney fort. »Er ist intelligent und geht überaus methodisch vor. Doktor Willing bezeichnet das als kognitiv-objektorientiert.«
»Und wonach sollen wir suchen?«
»Das konnte der Doc uns leider nicht verraten.« Werneuchen lächelte freudlos. »Nur, dass er es mit großer Wahrscheinlichkeit wieder tun wird.«
»Wann?«
Werneuchen zuckte erneut mit den Schultern.
Die Sprache des Täters, dachte Verhoeven. Wir verstehen sie nicht. Und vielleicht deuten wir das alles völlig falsch. Vielleicht sind wir bereits kilometerweit in die falsche Richtung gegangen, ohne es zu merken. Er starrte auf die Schreibtischkante hinunter und überlegte, ob er sich die Zeit nehmen sollte, einen Tee aufzubrühen. Er brauchte dringend einen Energieschub, etwas, das ihn wieder wach machte, aber er ertrug es nicht, Kaffee mit Zucker zu trinken, jedenfalls keinen deutschen. Davon wurde ihm übel. Unwillkürlich musste er an Winnie Hellers Antwort denken, als er sie gefragt hatte, ob sie keine Laster habe. Müsliriegel. Die Dosis macht das Gift. Die Erinnerung entlockte ihm ein Lächeln, auch wenn er sich nicht sicher war, ob sie ihn nicht zum Narren gehalten hatte. Er reckte sich nach seinem Mantel und zog die Mitgliederliste, die Marianne Siemssen ihnen gegeben hatte, aus der Tasche. »Im Gegensatz zu Tamara Borg hat Susanne Leistner nicht in diesem Studio trainiert«, resümierte er. »Dennoch gibt es ein Bindeglied zwischen ihr und Marianne Siemssen.«
»Chrysanthemen«, sagte Winnie Heller, die sich Kaffee nachgegossen hatte und die volle Tasse zu ihrem Schreibtisch hinüberbalancierte.
Verhoeven nickte. »Chrysanthemen. Und damit hat unsere verehrte Frau Siemssen schon zu zwei von drei Mordopfern eine Verbindung. Oder ich sollte wohl besser sagen: Sie hat eine Verbindung zu jenen beiden Frauen, deren Ermordung im Voraus geplant war.«
»Die Verbindung zu Susanne Leistner zu beweisen dürfte aber nicht ganz einfach werden«, wandte Werneuchen ein. »Eine Aversion gegen eine bestimmte Sorte Blumen ist ein ziemlich dürftiger Beweis.«
»Dessen bin ich mir bewusst.« Verhoeven betrachtete die Liste auf seinem Schreibtisch. Sie durften sich nicht scheuen, die Laufarbeit zu machen. Noch mehr Fragen zu stellen. Irgendwo musste es einen roten Faden geben. Irgendetwas verband diese Frauen. Sie mussten lernen, die Sprache des Täters zu verstehen. »Ich möchte, dass du dich mit Bredeney noch einmal ausgiebig in Marianne Siemssens Studio umhörst«, wandte er sich wieder an Werneuchen. »Versucht herauszufinden, wer alles einen Schlüssel hat und seit wann genau diese Blumen auf der Theke standen. Und überprüft die Siemssen. Ich möchte über diese Frau so viele Informationen wie möglich haben. Vor allem will ich wissen, ob sie tatsächlich vorhat, das Studio zu verkaufen.« Er griff wieder nach der Liste. »Wenn Susanne Leistner auch Mitglied in diesem Studio gewesen wäre . ..«
»Vielleicht war sie das ja«, sagte Winnie Heller hinter ihrem leeren Schreibtisch. »Ihren Namen von der Liste zu löschen wäre eine Sache von Sekunden. Und wenn die Siemssen wirklich in diese Sache verstrickt ist, wird sie doch den Teufel tun, uns ihre Verbindungen zu den Opfern auf dem silbernen Tablett zu servieren.«
»Aber sie ist bestimmt
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