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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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angemessen gewesen wäre. Und obwohl Silvie und er sich stillschweigend darauf geeinigt hatten, Madeleine nicht ausstehen zu können,schien seine Frau doch stets das Gefühl zu haben, hinter ihrer Schwester zurückzustehen, unterzugehen, unsichtbar zu bleiben. Im Schatten.
    Die morgendliche Kühle ließ die Windschutzscheibe beschlagen. Verhoeven tastete in der Ablage neben seinem Sitz nach einem Tuch, doch er wurde nicht fündig. In den Straßen herrschte kaum Verkehr, und die Welt war noch dunkel und still, als er seinen Wagen in die Tiefgarage lenkte.
    Im Büro checkte er als Erstes seine E-Mails, wobei er im Anhang an eine formelle Nachricht des Gerichtsmedizinischen Instituts den Obduktionsbericht zum Fall Leistner fand. Dr. Gutzkow hatte Wort gehalten. Verhoeven brühte sich einen Tee auf, wobei er es sorgsam vermied, Grovius’ entbeinten Schreibtisch anzusehen. Er wagte nicht, sich vorzustellen, wie Holger mit den persönlichen Sachen seines Vaters verfahren würde, und er hatte es auch satt, darüber nachzudenken, was die beiden derart entzweit haben konnte. Nachdem er eine Weile vergeblich nach Würfelzucker gesucht hatte, rührte er zwei Süßstoffdragees in seinen Tee, gab einen Schuss Kondensmilch hinzu und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Dort nahm er den Obduktionsbericht aus dem Drucker und überflog die nüchternen Zeilen. Petechiale Blutaustritte in der Gesichtshaut, insbesondere im Bereich der Conjunktiva... Blutungen in die Halsmuskulatur . . . Bruch des Kehlkopfskeletts mit vitalen Blutungen am Zungenbein... im Bereich der Schild- und Ringknorpel ... Hyperämie des Gehirns ... Dilation der rechten Herzkammer ... Seine Augen wanderten tiefer. Multiple abdominelle Stichverletzungen, postmortal . . . Keine körperfremden Substanzen. Kein Blut. Kein Ejakulat.
    Verhoeven nahm einen Schluck von seinem Tee, der zu süß geraten war und unangenehm holzig schmeckte. Keine körperfremden Substanzen, kein Ejakulat ... Half ihnen dieseErkenntnis irgendwie weiter? Dass der Mörder sich nicht an Susanne Leistner vergangen hatte, nicht einmal im Tod? Andererseits war Erdrosseln eine recht intime Art des Tötens. Und dann diese Blume... Er blickte wieder auf den Ausdruck hinunter. Im Anschluss an den eigentlichen Obduktionsbericht befand sich eine nachträglich angefügte Notiz der Pathologin: Es finden sich zahlreiche eher oberflächliche Schnittverletzungen an den Armen (s. h. Bericht!), aber zwei besonders tiefe Verletzungen im Bereich der Pulsadern! Möglicherweise deutet der Täter hier symbolisch einen Suizid an?! ... ((PS: Dies ist lediglich meine persönliche Ansicht!!!)) Der letzte Satz war doppelt unterstrichen und ließ Verhoeven unwillkürlich schmunzeln, weil die Vorsicht, die aus den Worten der Pathologin sprach, so gar nicht zu den vielen energischen Ausrufezeichen passen wollte, die ihre Ausführungen begleiteten.
    Er heftete die Seiten zusammen und schob sie in den Aktendeckel auf seinem Schreibtisch, in dem bereits Winnie Hellers sorgfältig überschriebene Berichte lagen. Vernehmung G. Leistner. Vernehmungen Kollegen. Zeugin I. Zeugin II. Alles knapp, übersichtlich und absolut wertfrei formuliert. Verhoeven las den Abschnitt, der ihre Befragung von Susanne Leistners Witwer dokumentierte, ein zweites Mal und blätterte von dort eine Seite zurück. Winnie Hellers persönliche Meinung schien nicht einmal auf Umwegen in ihre Ausführungen eingeflossen zu sein, was zwar in der Sache wünschenswert war, ihn aber trotzdem irgendwie befremdete. Grovius war immer anzusehen, was in ihm vorging, dachte er, zumindest wenn man ihn kannte. Ein Blick hier, eine scheinbar unbedeutende kleine Geste dort, und man wusste, woran man war. Oder irrte er sich? Hatte sich auch zwischen ihnen so etwas wie echte Vertrautheit erst nach und nach eingestellt? Er überlegte eine Weile, kam jedoch zu keinem Ergebnis.Er trank einen Schluck Tee und sah seine eigenen Notizen durch. Verglich. Keine Frage, Winnie Heller verstand es ausgezeichnet, den Kern einer Sache zu erfassen. Und doch ... Polizeiarbeit ist mehr, dachte Verhoeven. Zugleich war er sich sicher, dass Winnie Heller durchaus über dieses »Mehr« verfügte. Dass sie ihn nur nicht sehen lassen wollte, was sie fühlte. Und dachte. Als Erklärung fielen ihm nur zwei Gründe ein: die Angst, danebenzuliegen, oder der Wille, ihn auszuschließen. Und wenn er ehrlich war, glaubte er an den zweiten Grund. Winnie Heller schien keine Teamspielerin zu sein, sondern

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