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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Luft«, unterbrach ihre Freundin sie mit einem zufriedenen Blick hinunter zu den dicken Sohlen ihrer soliden Halbschuhe, von denen sie jedes Jahr genau drei Paar aus dem Katalog eines Sanitätsversandhandels bestellte. »Vor allem, wenn ich mich gerade einen ganzen Abend lang in einem stickigen Wohnzimmer übers Ohr hauen lassen musste.«
    »Aber was ist, wenn du hinfällst?«, merkte Lore Simonis sorgenvoll an, ohne auf die letzte Bemerkung einzugehen. »Um diese Zeit ist die Alte Stiege doch wie ausgestorben.«
    »Unsinn«, konterte Isolde Reisinger zunehmend ungehalten, und Lore Simonis war sich nicht sicher, ob sie vom Hinfallen oder von der Belebtheit ihres Heimwegs sprach. Aber aus der Erfahrung einer jahrzehntelangen Freundschaft heraus verzichtete sie auf weitere Überredungsversuche, die angesichts eines einmal gefassten Entschlusses ihrer Freundin ohnehin pure Zeitverschwendung waren.
    »Möchtest du nicht wenigstens noch auf eine Tasse Tee hereinkommen?«, bot sie an, als sie das Gartentor ihres Hauses erreicht hatten. »Bei der Gelegenheit könntest du mir auch gleich erklären, wie dieses schnurlose Telefon funktioniert, das Jörg für mich besorgt hat.« Sie seufzte und kramte in ihrer Handtasche nach dem Hausschlüssel. »Wie gesagt: Sobald ich es aus der Halterung nehme, hat es keinen Ton.«
    Isolde Reisinger schüttelte den Kopf. »Nicht heute Abend«, sagte sie. »Auf arte bringen sie eine von den alten Aufzeichnungen aus dem Stuttgarter Ballett. Mit der Hayd´ee. Das will ich unbedingt sehen.«
    »Es ist wirklich zu dumm, wenn man so gar nicht telefonieren kann.« Lore Simonis’ Tonfall hätte nicht neutraler sein können. Eine nüchterne Feststellung der Tatsachen. Mit Quengeleien erreichte man bei Isolde gar nichts. »Aber, na ja, halb so schlimm. Im Grunde habe ich ja sowieso nicht viel Neues zu erzählen, und ganz bestimmt wird es auch nicht ausgerechnet in den nächsten Tagen zu brennen anfangen oder so was, nicht wahr? Und man darf auch nicht zu ängstlich sein.« Sie drehte sich um und zog mit einer eleganten Bewegung das Gartentor hinter sich ins Schloss. »Also dann Gute Nacht«, sagte sie mit einem Lächeln. »Und pass auf dich auf.« Dann ging sie langsam den Kiesweg entlang zur Haustür, wo sie noch einmal kurz stehen blieb. »Hast du übrigens gewusst, dass einer ihrer Bewunderer ihr mal einen Autoschlüssel auf die Bühne geworfen hat?«
    »Wovon sprichst du?«, fragte Isolde Reisinger, sichtlich verwirrt ob dieses abrupten Themenwechsels.
    »Marcia Hayd´ee«, antwortete Lore Simonis fröhlich. »Es soll ein Rolls-Royce gewesen sein. Und geradezu unanständig teuer. Aber sie durfte ihn behalten.«
    Isolde Reisinger grinste. »Seit wann interessierst du dich fürs Ballett?«
    »Tue ich nicht«, lächelte Lore Simonis und schloss die Haustür auf.
    »Ich komme morgen Nachmittag vorbei«, rief Isolde Reisinger ihr nach und fügte überflüssigerweise hinzu: »Wegen deines Telefons.«
    »Ganz wie du willst«, entgegnete Lore Simonis und betrat zufrieden ihr Haus, mit dem festen Vorsatz, sich unverzüglich ein schönes heißes Fußbad einlaufen zu lassen.
     
     
     
    Er löste den Schal von ihrem Hals und betrachtete ihr Gesicht. Es war angeschwollen und wirkte auf eine befremdliche Weise ordinär.
    Er musste sich beinahe zwingen, es anzusehen.
    Ihr Mund war leicht geöffnet. Die Lippen aufgesprungen und mit schnell trocknenden Blutkrusten bedeckt. Die Verwesung beginnt mit dem Eintritt des Todes, dachte er. Sie blähen sich auf, und ihre Körperflüssigkeiten entweichen in alle erdenklichen Richtungen, als könnten sie es kaum erwarten, die Enge ihrer Leiber zu verlassen.
    Seine doppelt behandschuhten Finger streiften ihren Mund, wo vor wenigen Minuten noch blühendes Leben gebebt hatte. Ja, dachte er , so schnell geht das.
    Er ließ von ihren ausgedörrten Lippen ab und wandte sich ihren Augen zu, die offen waren, aber nicht offen genugfür seinen Geschmack. Er zog die dicken roten Lider nach oben. Gott, wie es ihn ekelte, sie anzufassen! Am liebsten hätte er diese dummen, nutzlosen Hautfalten in ihre Stirnhöhlen gestopft und dort festgenagelt, auch wenn der angstvolle Schimmer, der Ausdruck von Panik, der ihren Blick für einen kurzen, magischen Augenblick so lebendig gemacht hatte, schon längst wieder aus ihren Augen verschwunden war. Verstummt, dachte er. So hieß es bei Scheinwerfern. Nicht erloschen . Solche Dinge merkte er sich. Komische Ausdrücke. Sprachmelodien. Tamara

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