Der Bewacher - Swierczynski, D: Bewacher - Fun & Games
hatte Smiley von einem zweiten Bautrupp einen Tunnel errichten lassen, der das Haupthaus auf dem Hügel mit dem Schlafzimmer seiner Geliebten weiter unten verband; er war direkt in den Felsen des Bergs gebohrt worden. Dem Bautrupp hatte Smiley zu verstehen gegeben, dass der Tunnel »Geschäftszwecken« diene. Und augenzwinkernd hatten die Arbeiter sich ihren Teil gedacht; denn sie wussten, womit er an der Ostküste seine Kohle verdient hatte; Sex wäre ihnen nie in den Sinn gekommen.
Den einzigen Schlüssel hatte Smiley, er hatte dafür gesorgt, dass die Tür am anderen Ende des Tunnels hinter der Rückwand eines großen begehbaren Wandschranks lag. Außerdem schmierte er die Bezirksbeamten, damit diese die Baupläne beider Häuser praktischerweise »verlegten«. Aus diesem Grund stieß Factboy bei seiner ersten
Überprüfung von Lowenbrucks Haus — über neunzig Jahre später — auf keinerlei Anhaltspunkte für die Existenz des Tunnels.
Und darum fanden Hardie und Lane sich zu ihrer Überraschung auf einem feuchten, von Steinen gesäumten Treppenaufgang wieder, in einem Korridor, der sich endlos in die Dunkelheit zu erstrecken schien.
Hinter ihnen drang dichter, schwarzer Rauch ins Innere; sie hatten jetzt keine Zeit, um zu diskutieren. Mit seinem Unterarm drückte Charlie das halbverrottete Holz vorm Eingang zur Seite. Zunächst schien es, als wäre hinter der Wand nichts. Allerdings fand Charlie, dass nichts immer noch besser war, als an einer Rauchvergiftung zu sterben. Vielleicht gab es zwischen Haus und Berg eine Felsspalte, durch die sie sich ins Freie zwängen könnten.
»Los«, sagte Charlie heiser. »Los, rein da …«
Als sie den Gang betreten hatten, dauerte es eine Weile, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann konnten sie die Steinwände und eine Betontreppe ausmachen. Langsam krabbelten sie in die Dunkelheit. Nach ein paar Stufen streckte Charlie den Arm aus und packte Lane am Arm. Und sie umklammerte seine Hand. Er konnte ihre Haut nicht spüren — nur ihren Verband. Doch sie hielt sich fest und humpelte die Betontreppe hinauf, in die absolute Dunkelheit. So schien es zumindest.
Sie fragte sich, ob Andrew auch nur die leiseste Ahnung hatte, dass dieser Gang existierte. Wahrscheinlich nicht. Er redete gern über das Haus, und er hätte der Versuchung nicht widerstehen können, von diesem Geheimgang zu erzählen.
Für einen Moment dachte Lane, dass ihn diese Entdeckung in Aufregung versetzen würde, doch dann fiel ihr ein, dass sein Haus gerade niederbrannte, zusammen mit all seinem Hab und Gut und seinen sämtlichen Werken.
Mann behielt das Feuer im Auge und achtete darauf, dass ihr nichts entging, was irgendwie nützlich sein könnte. Und alle paar Sekunden fragte sie O’Neal:
»Gibt’s was Neues?«
»Nichts.«
Ihre Augen schmerzten. Die Höhlen waren gereizt, ihr Gesicht pulsierte, und ihr liefen die Tränen runter. Schmerzmittel konnte sie nicht nehmen, denn das würde ihr Denkvermögen beeinträchtigen. Je länger sie auf das Haus starrte, desto stärker liefen die Tränen. Das Blinzeln war die reinste Qual, darum tat sie es so wenig wie möglich. Mann war überzeugt, dass mit jedem Lidschlag ihre Augenverletzung schlimmer wurde.
Doch sie konnte jetzt nicht fort. Es gab sonst niemanden, der hier Wache halten konnte. Waren sie anfangs ein Team mit acht Augen gewesen, waren sie jetzt auf eines mit jämmerlichen zweieinhalb Augen zusammengeschrumpft — das war alles, was Mann geblieben war, ein lächerliches Auge.
Wenn sie tot waren …
Und dort landete man nach dem Tod …
Dann waren sie offensichtlich in einen noch im Bau befindlichen Teil des Jenseits gestolpert. Hardie ließ seinen Blick über die Eimer, das Gerüst, über die Hartschalenkoffer
und die Abdeckplanen wandern. Der Raum roch nach Kitt und Zement, nach Staub und Farbe, und durch das unverhüllte Fenster fiel grelles Licht. Trotzdem spürte man, dass man sich in einem Gebäude befand, das die meisten Leute wohl als Schloss bezeichnet hätten.
Und plötzlich wurde Lane alles klar.
»Mein Gott«, sagte sie. »Ich weiß, wo wir sind.«
»In einem neuen Seitenflügel der Hölle?«
»Nein. Wir sind in Smileys Schloss. Von der Straße aus kann man es nicht sehen. Es ist das nächste Haus den Hügel rauf. Ein Regisseur, den ich kenne, hat es vor ein paar Monaten gekauft. Er will einen Film über den Typen, der es gebaut hat, drehen. Ein totaler Spinner, der zu einer Art Kultfigur
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