Der Bilderwächter (German Edition)
die Enge getrieben. Als erwarte man von ihr, den Grund für das Schweigen herauszufinden oder es irgendwie zu beenden.
Sie erhob sich aus ihrem Sessel und trat ans Fenster.
Der Tod hatte nacheinander beide Männer aus Rubens Haus vertrieben. Doch er hatte Hortense nicht den Frieden gebracht, nach dem sie sich so sehnte. Denn aus Rubens Haus war ein Tatort geworden und die Polizei täglicher Gast.
Nicht einmal auf den Tod ist noch Verlass, dachte Hortense und wandte sich vom Fenster ab. Nicht einmal auf den Tod.
*
Ilka wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Sie wusste nicht, wie spät es war, hatte weder Hunger noch Durst, hatte alles vergessen, was sich außerhalb dieses Zimmers befand.
Sie war im Flow.
Nicht sonst zählte.
Ihre Gefühle übersetzten sich ohne ihr Zutun in Farben. Die Formen erzählten Geschichten.
Das hier war Ewigkeit.
So musste Gott sich gefühlt haben, als er die Welt erschuf.
Es war Vollkommenheit.
Ilka weinte und lachte.
Es war Leben.
Und nach dem Leben kam der Tod.
Das klang wie im Märchen. Ilka lachte wieder.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Mit jedem Pinselstrich schwand ihre Angst ein Stückchen mehr. Geriet sie tiefer in den Sog, der mit nichts vergleichbar war.
Das hast du empfunden, Ruben? Das?
Endlich konnte sie es verstehen.
*
» Hast du einen Moment Zeit für uns?«, fragte ich.
Jetzt erst nahm er uns zur Kenntnis. Er sah aus, als wäre er eben aus einem Traum erwacht und fände sich in der Wirklichkeit noch nicht zurecht. Er nickte.
» Wir haben eure Auseinandersetzung mitgekriegt«, sagte ich.
» Ganz unfreiwillig«, ergänzte Merle. » Das Mädchen war ja nicht zu überhören.«
» Und?«, fragte er.
» Und dabei erfahren, dass du Ilka kennst«, kam Merle ohne Umschweife zur Sache.
Er kniff die Augen zusammen und musterte uns argwöhnisch. » Ich kenne eine Menge Leute.«
» Aber Ilka anscheinend ziemlich gut.« Merle ließ sich von seiner ablehnenden Haltung nicht abschrecken.
» Ihr solltet nicht alles glauben, was ihr so hört.«
Sackgasse.
» Was geht euch das überhaupt an?« Er grüßte irgendjemanden, wobei ein flüchtiges Lächeln auf seinem Gesicht erschien, das gleich wieder verschwand.
» Ilka ist unsere Freundin«, sagte ich. » Wir leben zusammen.«
Mir fiel auf, wie eigenartig das klang.
» In einer WG «, schickte ich hinterher.
» Und?«, fragte er wieder und steckte die Hände in die Hosentaschen.
Was war mit ihm los? Wieso mauerte er dermaßen?
Offenbar kannte er Ilka zumindest so gut, dass Susan Grund genug für eine Eifersuchtsszene gesehen hatte.
» Wir suchen Ilka«, sagte ich. » Weißt du, wo sie steckt?«
» Ich kenne sie von der Kunstakademie«, ließ er sich endlich zu einer Antwort herab. » Das heißt aber noch lange nicht, dass sie mich über ihren jeweiligen Aufenthaltsort auf dem Laufenden hält.«
» Du weißt es also nicht«, stellte Merle fest. Ich hörte ihr an, dass sie allmählich ärgerlich wurde. » Wann hast du sie denn das letzte Mal gesehen?«
Wieder grüßte er über unsere Schultern hinweg. » Keine Ahnung. Ich führe über die Begegnungen mit andern nicht Buch.«
Und damit ließ er uns stehen.
» Irgendwas stimmt mit dem nicht.« Merle sah ihm nach. » Wir dürfen ihn nicht aus den Augen verlieren. Er ist unser einziger Anhaltspunkt.«
Sie hatte recht. Wir würden ihm folgen wie sein eigener Schatten. Und ihn bei der nächsten Gelegenheit wieder ansprechen.
Bis er uns sagte, was er wusste.
*
Es gab nur eine Erklärung. Was Bert hier in den Händen hielt, war so etwas wie eine vorläufige Zusammenstellung. Handschriftliche Notizen, die Bodo Breitner gemacht haben musste, als er begann, die Kunstwerke, in diesem Fall die Gouachen, zu sichten. Gedacht als Grundlage für ein endgültiges Gesamtverzeichnis, das er per Computer erstellt hatte oder noch hatte erstellen wollen.
Die Schöne. Schlafend. Nummer siebenundzwanzig.
Ein Anfang.
Bert glich die nächsten Gouachen mit den aufgeführten Titeln ab. Sie waren nicht geordnet und er musste die wertvollen Originale mit größter Vorsicht durchsehen, was ihm die Suche ein wenig erschwerte.
Mädchen. Am Fenster … Nummer fünfzehn.
Mädchen. Von Weitem … Nummer einunddreißig.
Mädchen. Im Licht … Nummer elf.
Bert blätterte zum ersten Fragezeichen zurück. Thorsten Uhland hatte es neben den Titel Nummer zwanzig gesetzt: Mädchen. Am Tisch.
Er sah Bild für Bild durch. Mädchen. Am Tisch
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