Der Bilderwächter (German Edition)
einen Stoß in die gewünschte Richtung geben würde.
Sie schien ihren Bruder in dem riesigen Raum zu suchen, der noch immer zweigeteilt war, wie zu den Zeiten, in denen Ruben hier gemalt hatte.
» Kaffee?«, fragte er. » Tee? Was anderes?«
Beide schüttelten den Kopf. Sie wollten die Geschichte offensichtlich so rasch wie möglich hinter sich bringen.
Das war Thorsten ganz recht. Er brauchte nur Ilkas Zustimmung, dann würde er sich in die Planung stürzen. Er konnte es kaum erwarten.
» Da bin ich.« Ilka blieb vor einem der Fenster stehen, um in den Garten zu sehen. Langsam drehte sie sich zu ihm um. » Und nun?«
Plötzlich wirkte sie gar nicht mehr so verloren. Auf einmal schien sie eine innere Kraftquelle angezapft zu haben. Selbst ihre Körperhaltung hatte sich verändert.
Sie hob den Kopf und blickte Thorsten direkt in die Augen.
» Ruben hat verfügt, dass wir uns gemeinsam um die Vermarktung seiner Werke kümmern«, sagte er. » Wir sollten deshalb gemeinsam überlegen, wie wir seinen Wunsch erfüllen können.«
» Mir liegt nichts daran, seine Wünsche zu erfüllen«, antwortete Ilka kalt.
Damit hatte Thorsten nicht gerechnet. Warum hatte sie das Erbe dann nicht ausgeschlagen?
» Genau das ist aber meine Aufgabe«, erwiderte er.
Ihr Blick war unergründlich, ebenso wie ihr Schweigen. Thorstens Irritation verwandelte sich ganz allmählich in Verärgerung.
» Warum bist du dann hier?«, fragte er.
Endlich wandte sie den Blick ab. Sie hob die Schultern, doch unter der gleichgültigen Geste erkannte Thorsten Verzweiflung.
» Du weißt, was passiert ist?«, fragte sie.
» Nicht alles …«, begann er zögernd.
» Zumindest aber so viel, dass du verstehen solltest, warum ich kein Interesse daran habe, sein Andenken zu bewahren.«
Bisher hatte sie den Namen ihres Bruders nicht ein einziges Mal ausgesprochen. Thorsten spürte, dass sie kein weiteres Wort über ihre Geschichte verlieren würde.
» Und was ist mit der Kunstwelt?«, fragte er. » Haben wir nicht die Pflicht, sein Andenken für sie zu bewahren?«
Ein Schatten glitt über Ilkas Gesicht. Sie trat zu ihrer Freundin, als hätte sie die Hoffnung, in ihrer Nähe Sicherheit zu finden.
» Ich möchte, dass alles bleibt, wie es ist«, sagte sie.
» Wie bitte?«
» Die Bilder sollen bleiben, wo sie sind.«
» Wie lange?«
» Wenn es nach mir geht, für alle Ewigkeit.«
Thorsten zwang sich, ein paar Mal ruhig durchzuatmen, bevor er antwortete. Das Mädchen war verrückt. Was verlangte sie da von ihm?
» Das wäre nicht in Rubens Sinn«, sagte er langsam. » Dein Bruder hat nicht für sich selbst gemalt. Er war berühmt und das zu Recht. Er hatte den Menschen viel zu geben.«
» Oh ja«, murmelte Ilka. » In der Tat.«
Der Sarkasmus tropfte ihr nur so von den Lippen.
Ihre Freundin hatte sich zurückgehalten, nun legte sie ihr den Arm um die Schultern.
» Ilka …« Thorsten suchte nach den richtigen Worten. » Wir sollten nichts übers Knie brechen. Ich kann mir vorstellen, dass deine Absichten andere sind als meine, und das ist auch völlig in Ordnung so. Nur müssen wir uns irgendwo in der Mitte treffen, damit wir planen können. Ruben hat mir den Auftrag erteilt, mich um seinen Nachlass zu kümmern, und das nach exakt zwei Jahren.«
Sie hat verdammt noch mal genügend Zeit gehabt, sich vorzubereiten, dachte er. Sie kann jetzt nicht sagen, es sei alles zu früh für sie.
» Wollen wir uns nicht setzen?«, fragte er. » Da redet es sich leichter.«
Ilka schüttelte den Kopf. Sie wanderte im Atelier herum, unstet, nervös. Thorsten beobachtete sie. Er erkannte Rubens Rastlosigkeit in ihr und seine Sturheit, und plötzlich war er wieder da, der Schmerz, den Freund verloren zu haben, obwohl ihr Kontakt zuletzt begonnen hatte, sich zu lockern.
» Du willst mir keine Zeit mehr geben«, sagte sie schließlich, blieb stehen und starrte ihn vom anderen Ende des Raums her an.
Er schüttelte den Kopf. Sämtliche Gespräche, die er im Vorfeld bereits geführt hatte, würden in sich zusammenfallen. Da gab es Galeristen, die fest auf seine Zusage bauten, Privatleute, denen er Versprechungen gemacht hatte. Schon viel zu lange hatte er sie alle hinhalten müssen.
» Rubens Nachlass wird wie eine Bombe einschlagen«, sagte er. » Man wird uns die Bilder aus den Händen reißen.«
» Alle werden sie sehen«, sagte Ilka so leise, dass er sie fast nicht verstanden hätte.
» Ja.« Er nickte, spürte die Begeisterung in sich aufsteigen, die
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