Der Bilderwächter (German Edition)
Schreibtischsessel.
Trachtete ihm jemand nach dem Leben?
Die Vorstellung war so absurd, dass er gern gelacht hätte, doch das Lachen blieb ihm in der Kehle stecken.
Jemand hatte versucht, ihn umzubringen.
Es gelang ihm nur schwer, sich auf die Bilder zu konzentrieren, und die Zahlenkolonnen auf dem Bildschirm seines Laptops ergaben keinen Sinn.
Wer wollte ihn aus dem Weg räumen?
Und wieso?
Seine bebenden Finger trafen kaum die Tasten, doch er arbeitete verbissen weiter, versuchte es zumindest. Bis ihm einfiel, dass er vielleicht auch hier nicht sicher war, eingeschlossen in Stahl und Beton.
Zwei Minuten später hatte er das kleine Haus verlassen und war den Hügel hochgestürmt. Von hier oben aus hatte er alles im Blick. Niemand würde sich unbeobachtet anschleichen können.
Drehte er jetzt durch?
Litt er unter Verfolgungswahn?
Mit verengten Augen spähte er zum Dach des Hauptgebäudes hinunter. Dann zu den Fensterbänken.
Nein. Er hatte sich nicht geirrt. Das Dach war so gut wie frei von Eis und Schnee. Auch auf den Fensterbänken hatte sich nichts gehalten.
Die Eisplatte konnte nicht von selbst heruntergefallen sein.
Während er noch überlegte, kam der Haushälter aus dem Werkzeugschuppen und begann, vor dem Haus zu kehren.
Falls die dicken Eissplitter überhaupt so etwas wie ein Beweis gewesen waren, so wurde der nun gründlich vernichtet.
Verwundert spürte Bodo Tränen in den Augen. Das war ihm nicht mehr passiert, seit ihm die älteren Kinder auf der Straße mit fünf oder sechs das Weinen ein für allemal ausgetrieben hatten.
Kein Beweis.
Keine Sicherheit.
Und Tag für Tag würde er weiter hierherkommen müssen.
Tag für Tag.
*
Es fiel mir schwer, den Ausführungen des Dozenten zu folgen. Immer wieder schweiften meine Gedanken ab. Ich hätte Ilka nicht am Kölner Hauptbahnhof abliefern und nach Düsseldorf zurückfahren lassen dürfen.
Doch sie hatte darauf bestanden. Wir hatten noch eine Weile in einem Bahnhofscafé gesessen, wo Ilka mir zum Dank für meine Begleitung ein Stück Kuchen spendierte. Dann hatte sie sich verabschiedet.
» Bring mich nicht auf den Bahnsteig«, hatte sie gesagt und mich unglücklich angelächelt. » Das macht den Abschied bloß schwerer.«
Wie schmal sie gewirkt hatte, als sie das Café verließ, wie niedergeschlagen. Trotzdem hatte ich ihre Bitte erfüllt, war zu meinem Wagen zurückgegangen und hatte mich brav zu meinem Seminar begeben.
Einführung in die Sozialpsychologie. Das klang nach trockenen Fakten, war aber ziemlich spannend.
Bloß heute nicht.
Ich konnte Ilka verstehen, aber ich hatte auch Verständnis für Thorsten Uhland. Als Rubens Freund und Maler hatte er eine Aufgabe übernommen, die er erfüllen wollte.
Und hatte er nicht recht mit dem Hinweis, dass man der Kunstwelt die Werke eines berühmten Künstlers nicht vorenthalten durfte?
Einzelheiten dessen, was Ilka erlebt hatte, waren nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Dafür hatte der Kommissar damals gesorgt. Auf diese Weise hatte er verhindert, dass die Medien in Ilkas Leben herumschnüffelten.
Außer Ilka wusste nur ich von der einstigen Liebe der Geschwister zueinander und von Rubens Besessenheit, die ihn schließlich in den Irrsinn getrieben hatte.
» … wenden wir uns nun der Frage zu, wie das Verhalten anderer Menschen das Verhalten des Einzelnen beeinflusst …«, hörte ich die Stimme des Dozenten.
Darüber hätte ich ihm viel erzählen können. Ich hatte die Auswirkungen von Rubens Verhalten auf Ilka hautnah miterlebt.
Und ich hatte erfahren, was sein Verhalten bei mir ausgelöst hatte.
Im Versuch, Ilka und mich zu schützen, hatte ich ihn angegriffen. In der Folge davon war er gestorben. Eine Last, die mir noch immer schwer auf der Seele lag, auch wenn kein Prozess eingeleitet wurde, weil ich in Notwehr gehandelt hatte.
Tilo hatte sich damals um mich gekümmert. Wir hatten lange Gespräche geführt, und mir war klar geworden, warum Tilo als Psychologe so erfolgreich war. Behutsam hatte er mich durch die nächsten Wochen begleitet, und auch danach war er immer für mich da gewesen.
Vielleicht war es mein Schuldbewusstsein Ruben gegenüber, das mich jetzt beeinflusste, wenn ich über die Auseinandersetzung zwischen Ilka und Thorsten nachdachte.
Es waren doch nur Bilder.
Warum sollten sie zurückgehalten werden?
Bilder jedoch, von denen wahrscheinlich die meisten Ilka zeigten. Verfremdet und möglicherweise für niemanden sonst erkennbar, aber doch klar
Weitere Kostenlose Bücher