Der Bilderwächter (German Edition)

Titel: Der Bilderwächter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth

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hinein lahmlegte, und hörte nun Ilka zu, die zögernd von ihrem Leben in Düsseldorf erzählte, das immer mehr zu ihrem wirklichen Leben zu werden schien.
    » Bleibst du über Nacht?«, hätte Mike ihr gern ins Ohr geflüstert. » Bleibst du … bei mir?«
    Doch dazu war sie zu weit weg auf ihrem Beifahrersitz, auf dem sie saß wie eine Besucherin, die Handtasche auf dem Schoß, die Hände darauf gefaltet wie zum Gebet.
    Manche der Namen, die sie nannte, hatte er schon gehört, andere waren ihm fremd. Es beunruhigte ihn, dass immer mehr Menschen Einlass in ihren Alltag fanden, an dem er selbst kaum noch Anteil hatte.
    Sie war so schön, wie sie da neben ihm saß. Aber es ging ihr nicht gut, das hatte er auf den ersten Blick erkannt. Es kam ihm vor, als versuchte sie, sich mit ihren Worten selbst Zuversicht einzuflößen.
    Nachdem er sie vom Bröhler Bahnhof abgeholt hatte, wäre er gern kurz mit ihr nach Hause gefahren, und sei es nur, um sich zu vergewissern, dass ihr Leben dort noch stattfand. Das Leben mit Jette, Merle, Mina – und ihm.
    Doch sie hatte Angst, sich zu verspäten.
    » Und davor, mein bisschen Mut zu verlieren«, gab sie zu.
    Als das Anwesen der Familie Ritter vor ihnen auftauchte, jäh vom Scheinwerferlicht aus der Dunkelheit gerissen, hätte Mike am liebsten den Rückwärtsgang eingelegt und wäre den Hügel Hals über Kopf wieder runtergebrettert.
    Weg, dachte er, bloß weg von hier.
    Das Haus und das frosterstarrte Land darum herum warfen lange Schatten, die bis in die Zukunft reichten.
    Er stellte den Wagen am Tor ab und sie stiegen aus. Jeder Schritt fiel Mike schwer und verursachte in der finsteren Stille einen Lärm, der Tote aufwecken konnte.
    Aber die Toten waren ja bereits wieder auferstanden.
    Ruben lebte einfach weiter, statt im breiten Fluss des Vergessens unterzugehen. Er war zurückgekehrt, um sich zu holen, was er zu Lebzeiten verloren hatte.
    Ilka.
    Mike trat zu ihr und legte den Arm um ihre Schultern. Er fühlte, wie sie zitterte. Dankbar schmiegte sie sich an ihn.
    Thorsten Uhland war noch nicht da.
    Während sie auf ihn warteten, betrachtete Mike das Hauptgebäude. Eines der Fenster war erleuchtet und warf einen Lichtstreifen auf den Kies. Ein schepperndes Geräusch erklang im Innern des Hauses.
    Danach war wieder Stille.
    Weit entfernt schrie eine Katze. Es klang wie Kinderweinen und ging Mike durch Mark und Bein. Ilka schien den Atem anzuhalten. Mit eiskalten Fingern nahm sie seine Hand und zog sie an ihr Gesicht.
    Mike beugte sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen, als neben ihnen mit schwerem Flügelschlagen ein Vogel aus einem Baum aufstieg und sie zu Tode erschreckte. Im nächsten Moment hörten sie das Geräusch eines Motors und wurden vom Licht zweier Scheinwerfer erfasst.
    » Sorry«, sagte Thorsten, als er vor ihnen stand. » Die Autobahn war dicht. Hab’s nicht früher geschafft.«
    » Bringen wir es hinter uns«, entgegnete Ilka knapp.
    » Noch können wir umkehren«, flüsterte Mike so leise, dass nur Ilka es hören konnte.
    Sie schüttelte den Kopf, den Blick starr geradeaus gerichtet.
    Thorsten ging vor ihnen her. Er roch schwach nach Aftershave und ein bisschen nach Terpentin. Ein Schlüsselbund klimperte an seiner Hand.
    Kleine Solarlampen wiesen ihnen mit ihrem kühlen blauen Licht den Weg. Mike drehte sich nach der dem Garten zugewandten Rückseite des Haupthauses um, in dem drei Fenster erleuchtet waren. Es tat ihm gut, andere Menschen in der Nähe zu wissen, auch wenn es sich nur um zwei alte Frauen handelte.
    Thorsten tippte eine Zahlenkombination in ein Tastenschloss ein. Öffnete eine schwere Stahltür, betrat das Gebäude und schaltete die Alarmanlage aus. Dann bat er sie herein, streifte seine Jacke ab, hängte sie an einen Garderobenhaken, zog die Stiefel aus und schlüpfte in bereitstehende Überzieher.
    » Bitte«, sagte er und bedeutete ihnen, es ihm nachzutun.
    Mike fand ihn nicht unsympathisch, was ihn überraschte. Doch dann wurde ihm klar, dass seine vorgefasste Ablehnung nichts mit diesem Typen an sich zu tun gehabt hatte, sondern lediglich mit seiner Funktion als Nachlassverwalter – und Rubens Freund.
    Er musste daran denken, dass die Überbringer schlechter Nachrichten zu früheren Zeiten geköpft wurden. Er selbst wäre schon damit zufrieden gewesen, wenn Thorsten sich schlicht in Luft aufgelöst hätte.
    Doch das tat er nicht. Er öffnete eine zweite Stahltür , und Ilka grub die Fingernägel in Mikes Hand.
    Da waren sie.
    Rubens