Der Bilderwächter (German Edition)
seichten Geschichten in den Illustrierten wurde ihr fast schlecht. Dennoch konnte sie den Blick nicht von den Fotos wenden, die Sehnsüchte erzeugen und die Menschen von den wirklichen Problemen ihres Lebens ablenken sollten. Prinzessinnen, Models und It-Girls neben braun gebrannten Schönlingen auf roten Teppichen, in Bars oder piekfeinen Cabrios am Strand. Ein Klischee jagte das andere.
Claudio war jetzt sicherlich in der Küche, um alles vorzubereiten, denn am Abend musste jeder Handgriff sitzen, da waren sie voll ausgelastet, Claudio, Angelo, Francesca und die jungen Leute, die für Claudio fuhren und so ihr Taschengeld aufbesserten.
Merle half aus, sooft es ihr möglich war. Meistens nahm sie die Bestellungen an. Damit mussten sie nun auch noch allein zurechtkommen.
Falls Paulina nicht einsprang.
Es ärgerte Merle, dass der Name Paulina ihr gefiel.
Sie hatte noch nie ein Foto von ihr zu Gesicht bekommen. Falls Claudio überhaupt ein Foto seiner Verlobten besaß, hielt er es gut versteckt. Merle hatte sie sich immer üppig und verführerisch vorgestellt, mit dunklen Augen und einem schönen, sanften Gesicht. Doch natürlich konnte Paulina auch ganz anders aussehen.
Den Namen hatte Merle bloß erfahren, weil Claudio im Schlaf redete.
Merle hatte, was Paulina anging, die gesamte Gefühlsskala durchlaufen. Sie hatte sie als Rivalin betrachtet und als Leidensgefährtin, hatte Abbitte geleistet, ihr in Gedanken den Hals umgedreht oder sie angefleht, die Finger von Claudio zu lassen.
Und ab und zu bezweifelt, dass es sie überhaupt gab.
Paulina war zu einer Art Phantom geworden, nie greifbar, doch immer nah.
Jetzt daran etwas zu ändern, beunruhigte Merle mit einem Mal.
Warum beließ sie es nicht dabei?
Sizilien war weit weg. Paulina könnte ein Name aus Claudios Träumen bleiben, und über ein Mädchen ohne Gesicht brauchte sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen.
Was, wenn sie einfach Angelo fragte, in welcher Form das Phantom Gestalt angenommen hatte?
Den lieben, zuverlässigen Angelo, der seinen Namen zu Recht trug, denn er war wirklich ein Engel. Liebte Merle auf seine stille, geduldige Art, litt mit ihr unter Claudios Unberechenbarkeit, war da, wann immer sie ihn brauchte.
Merle wünschte, sie könnte seine Gefühle erwidern, doch sie konnte es nicht.
Sie nahm ihr Handy und wählte Jettes Nummer.
» Hi. Schön, dass du dich meldest.« Jettes Stimme klang so wunderbar tröstlich, war fast wie eine Liebkosung. » Wo treibst du dich rum?«
» Ich sitze im Dolce Vita und tanke Mut für einen Besuch bei Claudio.«
» Sicher?«
» Nein.«
» Willst du nicht warten, bis ich zu Hause bin und dich begleiten kann?«
» Nein.«
» Kannst du auch noch was anderes sagen als: Nein?«
» Nein.«
» Hey … brauchst du mich?«
» Ja. Aber da muss ich allein durch.«
» Wieso denn? Was willst du dir damit beweisen?«
» Keine Ahnung.«
» Merle …«
» Du hast mir schon geholfen. Einfach dadurch, dass du mit mir gesprochen hast. Und jetzt werd ich mich in die Höhle des Tigers stürzen.«
» Des Löwen.«
» Was?«
» In die Höhle des Löwen.«
» Ach ja.«
» Und du sollst dich auch nicht hinein stürzen.«
» Klar. Ich betrete sie erhobenen Hauptes und mit aller gebotenen Ruhe.«
» Das war ja fast lyrisch.«
» Wurde auch Zeit, dass du meine Qualitäten kennenlernst.«
» Merle?«
» Ja?«
» Ich hab dich lieb und bin in Gedanken bei dir.«
» Schwörst du?«
» Schon geschehen.«
» Und danach ruf ich dich an.«
» Ich bitte darum.«
» Und wenn du gerade eine Veranstaltung hast?«
» Zerbrich dir nicht meinen Kopf, Süße.«
» Stimmt. Reicht ja schon, wenn meiner in Scherben fällt.«
» Also …?«
» Mädels wie wir …«
» … trinken kein Bier …«
» … trinken nur Sekt …«
» … der schmeckt.«
Sie lachten leise, und Merle wusste, dass auch Jette an Caro dachte. Caro hatte diesen Spruch von irgendwo mitgebracht, und er war von da an für sie drei so etwas gewesen wie die Losung der Musketiere: Einer für alle, alle für einen.
Dabei konnte Merle weder Bier noch Sekt ausstehen und Jette wurde nach zwei Weinbrandbohnen betrunken.
Merle zahlte und packte ihre Sachen zusammen. Und dann machte sie sich auf den Weg zu Claudio.
*
Als ich nach Hause kam, stürzten sich drei ausgehungerte Katzen auf mich. Nur Klecks, der sich immer einen Fluchtweg offenhielt, kauerte abwartend bei der Tür. Ein Blick auf die Futterstelle zeigte mir, dass die Katzen lange nichts
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