Der Bilderwächter (German Edition)
gewesen, als er auch schon schmunzeln musste.
Entweihung.
Das hörte sich so katholisch an, dabei hatte er mit Religion und ihren Ritualen nichts, aber auch gar nichts am Hut.
Susan hatte ihm ihre Adresse genannt, und er hatte bei einem Pizzaservice, von dem er wusste, dass er rund um die Uhr geöffnet hatte, eine Pizza gekauft und sich auf den Weg gemacht.
Susan wohnte in einer WG in der Sternstraße, im zweiten Stock eines hässlichen Nachkriegshauses, nur einen Steinwurf entfernt von einer Straßenbahnhaltestelle. Die Bürgersteige wurden von parkenden Autos gesäumt, der aufgeworfene Schnee am Straßenrand war schwarz.
Die Straßenbahnschienen glänzten matt im Licht der Laternen. Die Frostschäden der ramponierten Fahrbahn, deren altes Kopfsteinpflaster man großflächig mit Asphalt geflickt hatte, waren deutlich zu erkennen.
Der Türsummer ertönte und Marten stieg die breite Steintreppe hinauf. Der Duft der Pizza, der aus der Verpackung drang, ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Hinter den Türen der Wohnungen hörte er Stimmen und Geräusche.
Noch hätte er umkehren können, doch er tat es nicht.
Susan erwartete ihn mit einem Lächeln.
» Hi«, sagte er und ließ sich von ihr in eine große, fröhliche Wohnküche führen. Auf der rot gestrichenen Fensterbank drängten sich Töpfe mit Kräutern. An den Wänden hingen Fotos, die Susan und ihre Mitbewohnerinnen zeigten. Ein altmodisches Radio lief. Marten erkannte die rostige Stimme von Rod Stewart.
Susan holte Teller aus einem Schrank und stellte Gläser auf den langen Holztisch, an dessen einem Ende ihr Laptop stand.
» Ich hab hier auf dich gewartet«, erklärte sie verlegen. » In meinem Zimmer hört man die Klingel nicht so gut.« Sie klappte den Laptop zu und nahm eine Flasche Wasser aus dem pinkfarbenen amerikanischen Kühlschrank. » Oder willst du was anderes trinken?«, fragte sie.
» Ist schon okay.«
» Ja«, sagte Susan unschlüssig, als sie ihm gegenübersaß. Sie spielte mit dem Silberring an ihrer linken Hand, den sie immer trug. Er hatte einen blassblauen Stein, der zu ihren Augen passte und zu ihrem Gesicht, das manchmal so durchscheinend war, dass man glaubte, es mit einer Fee zu tun zu haben. » Nun bist du da.«
Marten wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Er klappte die Pizzaschachtel auf und die Küche füllte sich mit dem köstlichen Duft nach überbackenem Käse und Oregano. Susan reichte ihm ein Messer und er schnitt die Pizza wie eine Torte in handliche Stücke.
Dann aßen sie. Schweigend.
Ihre Mitbewohnerinnen waren nicht da.
» Sturmfreie Bude«, sagte Susan schließlich und lachte.
Sie hatte schöne, gerade Zähne und volle, herzförmige Lippen, und ihre Wangen glühten.
Selbst das Blau ihrer Augen schien intensiver geworden zu sein.
Nach der Pizza naschten sie Schokoküsse, die sie am Nachmittag gekauft hatte. Die extreme Süße füllte Martens Mund und drang ihm in jede Pore. Er leckte sich den klebrigen Schaum von den Lippen, ebenso wie Susan es tat, und plötzlich prusteten sie vor Lachen.
Susan tat ihm gut.
Für kostbare Augenblicke konnte er aufhören, an Ilka zu denken.
Er bemerkte die zarten Linien um Susans Augenwinkel, das Grübchen an ihrem Kinn, die Haarsträhne, die sich in ihren Wimpern verfangen hatte und sich bei jedem Zwinkern auf und ab bewegte.
» Du bist schön«, sagte er und sah, wie sie errötete.
» Du auch.«
So etwas hatte noch kein Mädchen zu ihm gesagt. Es hatte ihn auch noch niemand so angesehen.
In der Küche wurde es plötzlich ganz still. Nur das Radio lief weiter, doch Marten hörte es kaum. Die Musik hatte sich zurückgezogen zu einem fernen, nicht mehr wirklichen Geräusch.
Marten schloss die Augen.
Überließ sich seinen Gefühlen.
Wusste nicht, wie sie in ihr Zimmer gekommen waren und in ihr Bett.
Spürte ihre Hände auf der Haut. Ihre Zunge.
Sah ihr in die Augen, die so nah waren, dass sein Blick sich in ihnen verlor.
War unter ihr, auf ihr, in ihr.
Explodierte vor Lust.
Und vergaß.
Danach lag Susan neben ihm, einen Arm über seiner Hüfte. Sie flüsterte ihm Worte ins Ohr. Lachte leise. Vor lauter Glück.
Und Marten konnte nur daran denken, dass er seine Liebe verraten hatte.
So konnte er nicht neben ihr liegen bleiben, nicht so.
Susan wusste ja gar nicht, was in ihm vorging. Sie hatte keine Ahnung.
Seufzte vor Wohlbehagen. Schmiegte sich an ihn. Spielte mit der Zungenspitze an seinem Ohr.
Er konnte ihr das nicht antun. Sie nicht
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