Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
früheren Opfer – Heidi Meyer, Alice Colquhoun und Kingsley, den Hengst – zu verschleppen und anschließend in der jeweils arrangierten Szenerie abzusetzen. Dicht auf diesen Gedanken folgte die bedrückende Vermutung, dass Fossey den Wagen auch in den vergangenen zwei Tagen als Transportmittel verwendet hatte, um Merlin, dem »Urbankünstler«, in Limehouse nachzustellen und um Karls Wohnung unter der Überführung zu erreichen …
Eine Frage ging ihm durch den Kopf. Wenn dem so war, hatte der Mörder dann Tova die ganze Zeit über so weggesperrt gehabt? Hatte sie ihn mit leerem Blick, der Körper von Fliegen überzogen und an einschneidenden Drähten baumelnd, begleitet, während er seinen Plan weiterverfolgte? Es war ein Gedanke von dermaßen beiläufiger Grausamkeit, dass sich noch einmal etwas in Shapers Eingeweiden herumdrehte und er sich hinhocken musste, weil er fürchtete, sich übergeben zu müssen. Kauernd wischte er sich den Schweiß ab.
Erst als er sich wieder aufrichtete, bemerkte er aufgrund des niedrigeren Winkels Tovas Blusentasche: Sie war nicht nur angenagt wie der Rest ihrer Kleider, sondern fehlte völlig, mit solcher Gewalt weggerissen, dass sich das dünne Material gänzlich gelöst hatte.
Eine weitere Erinnerung stieg in ihm auf.
»Er hat mir eine sehr großzügige Abfindung geschickt« , hatte Tova gesagt und ihren Scheck eingesteckt. »Alles prima.«
Mit kribbelnden Handflächen versuchte Shaper, die eigenen Handlungen zu ignorieren, und beugte sich vorsichtig näher, um ihre Kleider zu untersuchen und nachzusehen, ob sie den Scheck irgendwo anders verstaut hatte. Er fand nichts, ebenso wenig eine Spur von dem Koffer, den sie so beherzt getragen hatte.
Finster starrte er auf das fehlende Stück Stoff, als wäre es eine persönliche Beleidigung.
Warum hast du den Scheck genommen, Fossey? Ist ja nicht so, dass du ihn ausgeben könntest.
Ein weiteres Souvenir? Ist es das?
Wie auf ein Stichwort überkam ihn die plötzliche Überzeugung, dass er beobachtet wurde, und mit einem leisen Stöhnen entdeckte er in der Düsternis hinter Tovas Rücken blaue und rote Farbtöne.
Die zerbrochene Maske.
Shaper sah, dass sie in eine Reisetasche aus Leder geworfen worden war. Die Totenstille des Waldes rings um ihn war ihm entsetzlich bewusst, als er sich tiefer in den Van beugte, um die Tasche heranzuziehen. Abgesehen von der Maske erwies sie sich als leer, wenngleich in den Falten auf dem Boden einige Restbröckchen von schmierigem, weißem Talg Bände sprachen.
Die Hand.
Der verrückte Wichser ist wegen der Hand hergekommen.
Dann erstarrte Shaper. Eine hässliche Vorahnung krallte die Finger in sein Kreuz, richtete ihm die Nackenhaare auf und belegte seine Zunge mit einem metallischen Geschmack. Wie von unsichtbarer Hand geschwenkt drehte er sich um … und von der Seite kam aus dem Wald wie ein uralter Gott die Bestie auf ihn zu.
Kapitel 36
Fosseys Auftritt wirkte vorsätzlich theatralisch. Der Mann betrat die Lichtung mit der kraftvollen Anmut eines Tigers, die Haltung gebückt, aber seltsam starr, die Beine in ungleichmäßiger Bewegung.
Shaper zwang sich, ruhig zu bleiben und tief durchzuatmen, um seinen Herzschlag zu verlangsamen. Rasch stellte er fest, dass der Mann unbewaffnet war – in seinen Händen trug er nur die klobige Kerze, die zu holen er gekommen war –, und er drängte den Adrenalinrausch zurück. Shaper sah, dass die Hand des Ruhms nicht brannte. Fossey drückte sie sich wie einen Säugling an die Brust, und als der Killer innehielt, um sie zu streicheln und zu kneten – ohne einen Versuch zu unternehmen, sich weiter zu nähern –, erhielt Shaper endlich Gelegenheit zu einer genauen Betrachtung des Schreckgespensts, dem er das Handwerk legen sollte.
Der Mann trug schwarz. Ein unförmiger Kapuzenpullover hing über einer dunklen Militärhose und schweren Stiefeln. Da er dazu Lederhandschuhe trug, blieb letztlich nur die mittlerweile ihres blauen Schutzschilds entledigte Haut im Gesicht ungeschützt. An dem Wangenknochen, wo Vince ihn getroffen und sich die abgebrochenen Ränder der Maske ins Fleisch gebohrt hatten, verliehen einige gezackte Linien Fosseys Gesichtsausdruck einen merkwürdigen, schiefen Anschein.
Wie Lava , dachte Shaper. Wie Magma, das durch aufgebrochenen Fels schimmert .
Und bei dieser einen skurrilen Assoziation, gestärkt von der Stille des Waldes und vom Rhythmus seines Herzens, grinste die Krankheit in Shapers Schädel und erbrach
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