Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
irgendetwas Unwesentliches gärte dicht unter der Oberfläche –, aber der unscheinbare kleine Gegenstand in Marys Hand drängte sich in den Vordergrund und verlangte eine Erklärung.
Es handelte sich um einen Peilsender.
Nein, es war sein Peilsender, und sie bemerkte, wie das Erkennen in seine Züge trat.
»Du hast ihn da hingesteckt!«, fauchte sie. »Im Bordell! Bevor ich gesagt habe, dass ich mitkommen will. Wolltest mich im Auge behalten, was?«
»Mary, warte mal, das ist …«
»Nein!« Sie schloss die Augen und sagte mit flüsterleiser Stimme: »Du hast gedacht, ich sei es.«
Sie meinte: die Mörderin .
Eine lebhafte Sekunde lang schmeckte Shaper ihren Schmerz. Das Grauen, das in einer einzigen schrecklichen Woche über sie hereingebrochen war, hatte sie abwechselnd Einsamkeit und Selbstzweifel durchleben lassen, ihre Karriere torpediert, ihren Bruder verstümmelt und die Erinnerung an eine perfekte Mutter gemeuchelt. Unvermittelt wurde ihm klar, dass von allen Menschen auf der Welt, die sie geliebt und denen sie vertraut hatte, nunmehr er derjenige war, der ihr am nächsten stand.
In diesem Licht betrachtet war es nicht schwierig, nachzuvollziehen, weshalb sie Verrat seinerseits vermutete. Für sie war das lediglich ein Bestandteil eines sich wiederholenden Musters.
»Mary, bitte«, sagte er und hob die Hände. »Ich habe dich nicht verwanzt, in Ordnung? Und ich weiß, dass du nicht die Mör…«
Sie schrie auf.
Und etwas spuckte Blut in sein Gesicht.
Die Welt kam zum Stillstand. Der Mörder erhob sich wie ein uralter Lindwurm aus dem Schlamm, während Shaper sich dafür verfluchte, nicht schon früher darauf geachtet zu haben. Zu durchdrungen von Hass, um aufzugeben, zu wahnsinnig, um Schmerz zu empfinden, leckte sich Fossey über die blutigen Zähne und tastete nach seinem Messer.
»Mary?«, stieß Shaper hervor. »Hau sofort ab.«
»Aber …«
»Mary!«
Wie eine Dampfschwade verschwand sie im Wald, und Shaper winkte mit den Armen, um den Blick der schlangenartigen Augen des Wahnsinnigen auf sich gerichtet zu halten.
Seine Gedanken vollführten eine träge Rolle. Der halbherzige Drang zu kämpfen wurde erst von Erschöpfung überwältigt und versank danach rasch in einer Flut verrückter Assoziationen. Der Peilsender in Marys Handtasche schrie nach Überlegung – ein Rätsel, das auf instinktiver Ebene eine Verbindung mit einem glänzenden, schwarzen Ding in der Zufahrt einging, einer Form, die er vor wenigen Minuten durch ein Geflecht von Efeu flüchtig erspäht hatte. Als Nächstes setzte wie durch Nebel hervorbrechende Sonnenstrahlen die Erinnerung an eine Familienfehde ein, an jemanden, der mit einem breiten Grinsen seine Habseligkeiten konfiszierte, und an eine Geste durch ein Autofenster. »Wir behalten sie im Auge …«
Die Dinge fügten sich zusammen.
Ihr Drecksäcke.
Ihr habt sie bei Mrs. Swanson verwanzt, nicht wahr? Ihr seid ihr gefolgt.
Ihr seid schon hier, verdammte Scheiße …
Mit einem starren, reptilienartigen Grinsen im Gesicht kam Fossey auf ihn zu.
Bring es zu Ende , dachte Shaper.
»Also gut«, stieß er hervor, nachdem er eine Entscheidung getroffen hatte. »Packen wir’s.«
Und er rannte los.
Mit brüllendem Herzen und bleiernem Körper erreichte er den Rand des Waldes, bevor er einen Blick zurück wagte, um sich zu vergewissern, dass ihm der Mörder folgte.
Scheiße!
Fossey befand sich kaum zehn Schritte hinter ihm. Er stürmtewie ein beängstigender roter Zug heran, eine Kreatur aus Schlamm und lippenlosem Knurren, eingehüllt in den höllischen Flaum seiner Wahnvorstellungen. Das Messer funkelte in einer Faust, die unangezündete Kerze schimmerte in der anderen, und der zerfetzte Kapuzenpullover flatterte wie ein Leichentuch. War Shaper zuvor enttäuscht von der Gewöhnlichkeit seines Jägers gewesen, so hatte er nun einen würdigen Dämon, der ihn hetzte: blutig, verdreckt, geschmückt mit den Symbolen seines Handwerks.
Shapers Füße berührten vor Regen rutschigen Beton, und er preschte auf den uneinsehbaren Knick zu, der sich auf halbem Weg die Zufahrt entlang befand.
Wo sind sie? , dachte er voll Panik. Wo zum Geier sind sie?
Das Klatschen seiner Füße passte sich dem Takt des Presslufthammers in seiner Brust an, der so laut hämmerte, dass er überzeugt davon war, er würde jeden Moment platzen. Nur das Schnaufen hinter seiner Schulter trieb ihn noch an, und in einem Anflug von Geistesabwesenheit gelangte er zu dem Schluss, dass
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