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Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Titel: Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Spurrier
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Verbrecherlaufbahn aus den Schienen geworfen und seinen Spitznamen geprägt hatte. Als er eines Tages einen verängstigten Ladenbesitzer bedrohte, so erzählte man sich, hatte er das Jagdmesser, das als sein Markenzeichen galt, zur zornigen Betonung in die Theke gerammt und war erstaunt gewesen, als seine Hand – völlig anders als in den Actionfilmen, aus denen er die Geste kannte – die Klinge hinabrutschte und er sich sämtliche Sehnen durchtrennte.
    Daher »Tony Krampfhand«.
    Heute verkörperte Tony – ganz in Leder gekleidet und tätowiert – Überkompensation in Reinkultur. Er versuchte, hart zu wirken, auszusehen und zu reden, obwohl alle Welt wusste, dass er nur ein verkrüppelter Lokalbesitzer mit Mundgeruch war. Natürlich war er nicht völlig redlich geworden: Die Toiletten in Tony’s Grill ’n’ Sizzler hatten schon mehr Nacht-und-Nebel-Aktionen erlebt als ein Überwachungsteam der CIA, und Tony kassierte bei jedem dieser Deals stattlich ab. Er bildete einen Bestandteil der losen Gruppierung zwielichtiger Gestalten, die Vince zweifellos als »Kumpel« beschrieben hätte, während Shaper sie als Leute bezeichnete, die er aus der Kneipe kannte. Und in all den Jahren ihrer Bekanntschaft hatte Tony ihm – oder sonst jemandem – noch nie kostenlosen Speck angeboten.
    »Nachgeschenkter Tee?«, sagte Shaper spöttisch. »Zusätzlicher Toast? Ich bitte dich, Tony. Was soll das alles?«
    »Ich … wollte nur freundlich sein.« Der Schweiß floss mittlerweile in Strömen.
    »Tony, du bist knausriger als der verfluchte Dagobert Duck. Das weiß jeder. Hör auf, mich zu verscheißern.«
    »E-ehrlich, Dan, ich …«
    »Tony.«
    Der Mann erschlaffte.
    »Es ist nur so … W-wir haben gehört … dass du wieder bei den Corams bist. Ich wollte dir nur irgendwie Respekt erweisen. Sollst dich in meinem Laden ja wohlfühlen.«
    Shapers Schultern sackten herab.
    Es gibt auf der Welt keine größeren Klatschmäuler als Verbrecher.
    »Tony, das ist nur vorübergehend so, klar? Und außerdem nicht freiwillig.«
    »Ich … ich dachte ja bloß. Als du reingekommen bist … na ja, ich dachte, es könnte … geschäftlich sein. Verstehst du?«
    Shaper verstand nur allzu gut.
    Keine größeren Klatschmäuler. Und niemanden mit einem besseren Langzeitgedächtnis.
    Schuldbewusst erinnerte er sich daran, dass Mary draußen allein mit unausgesprochenen Dingen saß, und wandte sich der Tür zu, hielt jedoch mit der Hand auf dem Knauf noch einmal inne. »Wer hat dir das überhaupt erzählt?«
    Tony zuckte mit den Schultern. »Du weißt ja, wie’s läuft, Kumpel. Man … hört einfach gewisse Dinge.«
    Informationsaustausch. Unsichtbar, stumm, geruchlos. Die Essenz der Unterwelt.
    »Wie dumm von mir.«
    Sie war noch da und wartete mit einer Anspannung, die Shaper nicht zu verdienen glaubte. Die Wangen gerötet, kein Lächeln, keine Heuchelei. Wunderschön und bereit zu reden.
    »Meine Mutter«, begann sie unaufgefordert. »Sie war sehr gut in dem, was sie tat.«
    Shaper schob den zusätzlichen Speck den Obdachlosen zu, ohne hinzusehen. Sie stürzten sich darauf wie ausgehungerte Raubtiere.
    »Sie … Kaum sah sie Menschen, wusste sie Dinge über sie. Ich meine, das ist unheimlich – wenn man ein Kind ist. So bin ich aufgewachsen. Ich hatte also große Fußstapfen, in die ich treten musste. Verstehen Sie?«
    Unbeholfen griff Shaper das Stichwort auf. »Und deshalb wurden Sie … äh …« Er suchte nach dem richtigen Wort, deutete auf ihre Kleidung und ihr Haar.
    »Ja. Oder nein, eigentlich war das eher die Schuld meinesBruders. Ma war perfekt. Klug, liebevoll. Wir hatten keinen Vater – der lief davon, als ich zwei war –, also lag alles an ihr. Und Karl, mein Bruder, war irgendwie … verstört. Leicht beeinflussbar. Ich meine, Gott, im Umgang mit mir war er toll, der beste große Bruder der Welt, aber … nach außen? Drogen, der falsche Umgang; man kennt das ja. Andauernd stand die Polizei bei uns vor der Tür. Deshalb musste Ma ihm … viel geben. Jedenfalls an Zeit. Sie nahm ihn überallhin mit, zu ihren Klienten, zu all ihren Jobs.« Sie zog die Augenbrauen hoch, eine flüchtige Betonung. »Tatsächlich war Karl zu Hause, als Glass zum ersten Mal an der Tür aufkreuzte. Er war an dem Tag von der Schule geflogen, und deshalb war er auch vor mir bei der Sache dabei.« Schnaubend verzog sie das Gesicht, während sie sich selbst zuhörte. »Ich bin eine erwachsene Frau. Mir ist bewusst, dass sich das

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