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Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)

Titel: Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Spurrier
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albern anhört. Und ich missgönne es ihm nicht – Karl, meine ich. Längst nicht mehr. Es war nicht seine Schuld. Aber wenn man ein Kind ist und sich nur nach Liebkosungen sehnt … aber die eigene Mutter zu sehr damit beschäftigt ist, sich um jemand anderen zu kümmern … Dann findet man Wege und Mittel, Aufmerksamkeit zu erlangen.«
    Shaper erwiderte nichts und spürte, wie der Käfer der Synchronizität über seinen Hals krabbelte.
    Erstaunlich, was Menschen tun, um sich anzupassen .
    »Und so begann ich zu lernen. Diagnosen, Regressionen, Therapien. Dicke Schmöker über Okkultismus. Banne, Traumdefinitionen, Tarot; all so was. Der kleine Lehrling meiner Ma. ›Ein Naturtalent‹, nannte sie mich eines Tages. Ich war so glücklich, dass ich die ganze Nacht geweint habe. Und schließlich lernte auch ich Glass kennen. Es war, als wäre ich damit in den Klub aufgenommen. Endlich tat ich etwas, wofür sie stolz auf mich war.« Mary schniefte und kämpfte mit Tränen. »Oh, aus dem Hardcore-Zeug hab ich mich rausgehalten.«
    Hardcore? Shapers Miene verfinsterte sich, aber er unterbrach sie nicht.
    »Ich war noch jung, aber ich war drin. Hatte eine Verbindung hergestellt. Hatte etwas, das Karl nicht hatte. Das mir gehörte.«
    Shaper fragte sich, ob das ein Geständnis war, eine zwischen den Zeilen herauszuhörende Beichte, dass alles, wofür sie stand – all der geheuchelte Hellseherscheiß und das esoterische Geschwafel –, ein Schwindel war, um nach Zuwendung zu haschen.
    »Dann zieht Karl eines Abends los, als er achtzehn ist. Wird in eine Rauferei in Soho verwickelt. Irgendein Kerl will ihn umbringen, also schlägt Karl zu. Selbstverteidigung, oder?« Vertieft in ihre Geschichte deutete Mary einen Rundumschlag an. »Wie sich rausstellt, hat der Kerl ein schwaches Herz. Und ist tot, bevor er auf dem Boden landet.« Sie räusperte sich. »Karl wird unter Mordanklage verhaftet, und Ma fällt aus allen Wolken.«
    »Verständlich.«
    »Ja, jetzt schon. Aber damals?« Sie schüttelte den Kopf. »Es war, als verlöre ich sie wieder. Karl hier, Karl da. Sie hatte einen Zusammenbruch – heute weiß ich das. Aber damals konnte ich nur einen Gang höherschalten. Kristalle, Weihrauch und … verfluchte Sitzsäcke! Ich übernahm die Klinik und führte sie zum Erfolg. Hab das Studium abgebrochen. Hab mich wie ein artiges kleines Mädchen abgeschuftet, um gelegentlich ein ›Danke, Mary‹ zu bekommen, und mich damit begnügt.« Mit einem Seufzen, das ihren gesamten Körper durchlief, lehnte sie sich zurück und wandte den Blick ab. »Ich hab nach Krumen gescharrt. Richtig erbärmlich.«
    Ihre Augen schimmerten feucht, doch sie schien fest entschlossen zu sein, nicht zu blinzeln, damit sich die Tränen nicht lösten und über ihre Wangen liefen. Shaper fürchtete, sie könnte sich wieder verschließen oder gar beleidigt sein, wenn er versuchte, sie zu trösten. Deshalb konzentrierte er sich stattdessen darauf, die Lust zu zügeln, die er für diese ruhige, kontrollierte, verblüffende Frau empfand, die ihm ihre Seele freilegte. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte er sich privilegiert.
    Sie beendete ihre Ausführungen mit einem trotzigen Schulterzucken. »Ma starb vor ein paar Jahren bei einer Massenkarambolage auf der Autobahn. Man kam zu dem Schluss, dass sie abgelenkt war. Sie hatte ihr Handy benutzt.«
    Shaper sah die Pointe kommen. »Um mit Karl zu reden?«
    Mit verkrampftem Kiefer nickte sie. »Sein wöchentlicher Anruf aus dem Bau. Ein echter Brüller war das.«
    Sie lachten beide nicht.
    Nach mehreren Minuten des Schweigens, in denen sie Tee tranken und ins Leere starrten, schaute Mary auf und durchbohrte ihn mit ihrem Blick. »Nun?«
    Er trommelte mit den Fingern und nahm allen Mut zusammen. Aus irgendeinem Grund, den er tief in seinem Innersten spürte, sogar hinter der Schicht, in der die Krankheit lauerte, war er darauf angewiesen , dass sie es sagte.
    »Also ist … ist alles Humbug? Die Klinik? Die Hellsicht? All das?«
    Und sie schien drauf und dran zu antworten – nicht länger wütend. Sogar das erste Anzeichen eines Nickens deutete sich bereits an – als er einen letzten, gedankenlosen Punkt hinzufügte. »Und Glass.«
    Idiot .
    Die letzte Silbe durchtrennte die Verbindung.
    Ihre Züge zogen sich zusammen. Die Vertraulichkeit zwischen ihnen zerbarst wie …
    Ha!
    … wie Glas. Als wäre es in Ordnung für sie, anzudeuten, dass sie eine Lüge lebte, dass alles Schwindel war, und die

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