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Der Blaumilchkanal

Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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würde sie zu meinen Universalerben einsetzen, drehen sich meine besten Freunde weg, wenn sie mich nur von weitem sehen. Letzte Woche haben mich zwei Militärpolizisten in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett gezerrt, weil ich die Armeeverwaltung verständigt hatte, daß ich als Nachtmensch nicht daran dächte an der nächsten Waffenübung als Reservist teilzunehmen...«
    »Schluß«, rief ich. Ich hielt es einfach nicht mehr länger aus. »Wer ist der Mörder, der Ihnen das alles antut?«
    »Wer? Woher soll ich das wissen?« wimmerte Schultheiß. »Jeder kann es sein. Vielleicht sind Sie's.«
    Ich? Das ist nicht ausgeschlossen.

    Ein in den USA geborener junger Filmemacher drehte vor einiger Zeit einen Film über den schrecklichsten und unverständlichsten Verstoß gegen das Gebot »Du sollst nicht töten«. Dieser Film handelte auch von meinem Schicksal, und deshalb habe ich einige Zeilen an Steven Spielberg geschrieben.

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EIN BRIEF, DER IHN ERREICHTE
    Der Verfasser dieses Briefes befindet sich in einer paradoxen Lage, lieber Steven, er ist ein Überlebender des Holocaust und ein Humorist zugleich, ein Filmregisseur, der durch seine Bücher bekannt wurde. Und im Namen all dieser Berufe drückt er Ihre Hand. Eigentlich wollte ich es schon in der Kinopause tun. »Schindlers Liste« sah ich bisher zweimal, zuerst in Sflropa, wo ich verstohlen meine Tränen abwischte, und nun zu Hause in Israel, zusammen mit meiner Frau und meinen Kindern. Ich dachte, diesmal hätte ich mich in Gewalt und könnte mich als Kollege auf die vorzügliche technische Leistung konzentrieren, doch wieder mußte ich ganz unprofessionell weinen. Wider Willen wurde ich von neuem in die Handlung hineingezogen, entdeckte mich selbst im verriegelten Waggon, und aus Kinderkolonne zur Gaskammer erklang die helle Stimme meiner kleinen Tochter.
    Jeder Überlebende hat seinen Schindler. Und doch berührten mich nicht die meisterhaft inszenierten großen Szenen am stärksten, sondern die erschütternde Wahrheit auf der Leinwand. Ja, so war es, unverständlich, unmöglich und doch die Wahrheit.
    Die Wahrheit hat ihre eigenen Gesetze. Vielleicht sind auch Sie, lieber Herr Spielberg, überrascht von der weltweiten Reaktion und vielleicht auch von Ihren eigenen Gefühlen bei der Premiere in Jerusalem, aber es gibt eben eine Grenze, wo der Mechanismus der Technik stehenbleibt und das Schlagen des Herzens beginnt. Wahre Gefühle übertragen sich. Weint der Regisseur während der Aufnahmen, weinen auch seine Zuschauer.
    Eigentlich war Schindler ein menschlicher Hochstapler inmitten eines unmenschlichen Systems, aber die Botschaft Ihres Films reicht weit darüber hinaus, »Schindlers Liste« zeigt, was in der Bibel steht: »Der Menschen Bosheit ist groß auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens.« Sobald man die Schranken der Moral aufhebt, wenn man den schlechten Instinkten die Angst vor der Bestrafung nimmt, dann wird die Krone der Schöpfung zum Ungeheuer.
    Ihr grandioses Werk durchleuchtet die Greuel des Rassismus, schildert den 2000jährigen Spießrutenlauf des jüdischen Volkes. Während der Dreharbeiten empfanden Sie bestimmt, daß mit der Offenbarung dieses historischen Traumas nicht nur der wahnsinnige Leiter des Vernichtungslagers gemeint ist, sondern die pathologische Krankheit der Welt, Antisemitismus genannt, daß der irrationale Haß deutlich wird, der sich von Generation zu Generation vererbt. Sie geben keine Antwort auf dieses erschreckende Phänomen. Es gibt auch keine.
    Die Menschheit leidet seit Menschengedenken an einem unheilbaren Juden-Komplex. Allem Anschein nach hat ihn die Kirche ausgelöst, die von Juden selbst gegründet wurde. »Schindlers Liste« stellt aufs neue die schmerzhafte Frage, wie es möglich war, daß die Verfolgten der »Religion der Liebe« selbst zu Verfolgern und die Opfer von Neros Löwen zu Inquisitoren wurden. Auf ihren Scheiterhaufen hätten sie ohne Bedenken auch die jüdischen Apostel verbrannt.
    In Auschwitz haben sie es getan. Dort kreuzigten sie Jesus zum zweiten Mal, in jedem Menschen ermordeten sie Gott selbst.
    Der Rassenhaß existiert aber auch noch außerhalb der Mauern der zahlreichen Kinos, die es gewagt haben, »Schindler« in Deutschland aufzuführen. Diese Haltung tritt in einigen persönlichen Angriffen zutage, die man zu Unrecht als Filmkritiken bezeichnet. Unverschämte Grobheit führte das Wort. Ein Publizist machte sich ausgerechnet in der Zeitung »Die

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