Der bleiche König: Roman (German Edition)
jemand hatte kleine Lampen im Raum verteilt und so in der allgemein düsteren Atmosphäre attraktive Oasen geschaffen. Fogle fand Schummerlicht düster. Sylvanshine, Dr. Lehrls zweiter Referent, saß in einem Sessel weiter rechts von Fogle, sodass beide Referenten knapp außerhalb von Fogles Sichtbereich waren, nicht gleichzeitig gesehen werden konnten und er immer leicht den Kopf verdrehen musste, um einen von ihnen direkt anzusehen. Und das musste er ziemlich oft, weil er von ihnen anscheinend irgendwie eingewiesen wurde. Und zwar im Gespann. Aber in gewisser Weise schienen sie auch über Fogle hinweg miteinander zu sprechen. Wenn sie Chris Fogle direkt ansprachen, neigten sie ein bisschen zum Belehren, aber es war auch nicht alles uninteressant. Reynolds und Sylvanshine schienen über die Karrierekurven und Lebensläufe diverser einflussreicher Verwaltungsbeamter hervorragend Bescheid zu wissen. Bei Referenten aus der Bundeszentrale konnte man davon ausgehen, dass sie sich in diesen Dingen gut auskannten; sie hatten etwas von monarchischen Höflingen. Die meisten Leute, deren Namen sie erwähnten, arbeiteten in der Bundeszentrale; Fogle kannte nur wenige davon. Wie im Service üblich, sprachen die Referenten schnell und aufgeregt, ohne dass ihre Mienen Aufregung bekundet hätten oder auch nur Interesse an dem Thema, das mit einem kurzen Vortrag über die beiden verschiedenen Grundmethoden vorgestellt worden war, wie man in der IRS -Bürokratie Karriere machen und Verantwortung übernehmen konnte. Die Aufstiegsmöglichkeiten unter den Bedingungen bürokratischer Aerodynamik kamen unter Steuerprüfern oft zur Sprache; unklar war, ob Reynolds und Sylvanshine nicht wussten, dass das alles Fogle durchaus geläufig war, oder ob es ihnen egal war. Fogle ging davon aus, dass die beiden in ihrer Heimatdienststelle als legendäre Knallköppe verschrien waren.
Den beiden Referenten zufolge gelangte man auf die Leitungsebenen jenseits eines GS -17 erstens durch die langsame und stetige Zurschaustellung von Kompetenz, Loyalität, angemessener Initiative, der Fähigkeit zur Interaktion mit Vorgesetzten und Untergebenen usw. und stieg auf diese Weise langsam von einem Dienstgrad zum nächsten.
»Zweitens geht es auch, was weniger bekannt ist, per Eklat.«
»Ein Eklat ist eine plötzliche und außergewöhnliche Idee oder Innovation, durch die man seine Vorgesetzten auf sich aufmerksam macht. Selbst auf Bundesniveau.« Manchmal hatte man den Eindruck, sie plapperten anderen nach.
»Doktor Lehrl gehört zum zweiten Typ. Dem Eklat-Typ.«
»Gestatten Sie uns einige Hintergrundinformationen.«
»Es ist einige Zeit her. Soll ich das genaue Jahr nennen?«
Die Rhythmen des Hin und Her von Reynolds und Sylvanshine waren ziemlich präzis. Zeitverschwendung gab es nicht. Fragen hatten einen leicht rhetorischen Anflug. Wenn Dr. Lehrl selbst hinter der Milchglastür saß, war nicht klar, warum Reynolds und Sylvanshine glaubten, er könne hören, was sie sagten.
»Die Einzelheiten sind unwichtig. Er gehörte einfach zu einer rangniederen Revisorengruppe irgendwo in der Walachei, und er hatte eine Idee.«
»Dabei ist er in der Gruppe wohlgemerkt nicht mal den 1040ern zugeteilt. Er macht Kleinbetriebe und S-Corporations.«
»Die Idee betrifft aber 1040er.«
»Und hier spezifische Freistellungen.«
»Ein Ihnen nicht ganz unbekanntes Gebiet, nehme ich an.« Beide sprachen ohne jeden Dialekt.
»Ich weiß beispielsweise nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass Steuerpflichtige bis 1979 Angehörige einfach namentlich auflisten konnten.«
»Auf dem damaligen 1040er.«
»Angehörige. Kinder und vom Steuerpflichtigen betreute ältere Mitbürger.«
»Ich glaube, wir können davon ausgehen, dass der Begriff Angehörige ihm vertraut ist, Claude.«
»Aber kennen Sie das damalige 1040er? Vornamen der angehörigen Kinder musste der Steuerpflichtige unter Ziffer 5 c eintragen, Namen und Verwandtschaftsverhältnis anderer unter Ziffer 5 d.«
»Heute findet sich das alles natürlich unter 6 c und 6 d. Aber es geht ja um 1977.«
»Wichtig ist: nur Name und Verwandtschaftsgrad. Und da lag das Problem.«
»Das ließ sich nicht überprüfen«, sagte Sylvanshine.
»Im Rückblick scheint das einfach absurd«, sagte Reynolds.
»Aber erst seit dem Eklat merkt man, wie naiv das war. Eben weil es sich nicht überprüfen ließ.«
»Nicht richtig. Nur ein Name und Verwandtschaftsgrad.«
»Das System funktionierte auf Treu und Glauben. Es gab keine
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