Der blinde Passagier
über die Treppe. Und kaum hatte sich die Tür geöffnet, war er auch schon in der Maschine verschwunden.
Die Düsentriebwerke heulten auf, und das Flugzeug rollte langsam zur Startbahn. Als die Maschine zu einer Kurve eindrehte, konnte Peter Schimmelpfennig an der Tragfläche vorbei zum letzten Mal die Gruppe sehen, die an der schwarzen Limousine stand. Er entdeckte den winkenden Rodrigo. den kleinen Hiroshi mit den silbernen Knöpfen an seiner Schüleruniform und Direktor Suzuki, der ganz vorne stand.
Peter Schimmelpfennig versuchte gerade, sich hinter seinem Fenster bemerkbar zu machen, da fiel neben ihm ein älterer Mann in den Sitz. Er trug einen hellen Staubmantel und hatte einen zerdrückten Hut in der Hand. „Mein Name ist Mayer“, sagte der Mann außer Atem „Mayer mit Ypsilon.“
Man sollte sich nie an einem Samstag
einsperren lassen
Die Maschine zog eine große Schleife über der Stadt. Dann stieg sie immer höher und flog über die Hafenviertel und die Bucht zum Meer hinaus.
Als man die Sicherheitsgurte abnehmen durfte, übergab Herr Mayer seinen Staubmantel und seinen zerdrückten Hut einer Stewardeß. Eine ziemlich mitgenommene Aktentasche klemmte er zwischen seine Beine und den Sitz. „Mehr habe ich nicht dabei“, sagte er. „Ich war heute morgen noch in Toba Kowaki, weil ich endlich meine Reportage über die Perlenfischer schreiben wollte. Da kommt dieses Telegramm vom Abendblatt.“ Herr Mayer holte eine alte Taschenuhr heraus und zog sie auf. „Ich denke, mich laust der Affe. Aber ich werfe mich in den nächsten Zug. In Tokio verfrachte ich mich gleich ins Büro und klingle unseren gemeinsamen Freund Liesegang aus dem Bett. ,Alexander’ , sage ich, ‚was ist das für eine Schnapsidee, mir nach Toba Kowaki so ein Telegramm zu schicken. Du weißt genau, daß ich diese Perlenfischerstory schon seit zehn Jahren schreiben will, und jedesmal kommt etwas dazwischen.’ “ Herr Mayer steckte seine Uhr wieder in die Tasche zurück. „Wir kennen uns schon seit einem halben Jahrhundert, und er sagt mir: ,Otto , deine Perlenfischergeschichte kann mir gestohlen bleiben.’ — Ich heiße Otto mit Vornamen. — , Da gibt es eine ganz andere Geschichte, und die ist bei uns im Augenblick Nummer eins.’ Jetzt erzählt er mir von dir, und anschließend jagt er mich los. Ich soll dich mindestens bis Bangkok begleiten und dich dort persönlich in die direkte Lufthansa-Maschine transportieren. Nebenbei könnte ich ja noch etwas über dich schreiben. Soweit unser gemeinsamer Freund Dr. Alexander Liesegang.“ Herr Mayer mit Ypsilon ließ seinen Sitz einschnappen und lehnte sich zurück. „Ich werde nicht aufdringlich sein, und Reden in dieser Länge halte ich nur alle Jubeljahre einmal. Ende der Durchsage.“
„Es tut mir leid, daß ich Ihnen Umstände gemacht habe“, sagte Peter Schimmelpfennig, „aber es freut mich natürlich, daß Sie gekommen sind.“
„Und das auf den letzten Drücker“, lachte Herr Otto Mayer. „Ich gebe zu, daß ich die Perlenfischergeschichte gerne hinter mir gehabt hätte. Andererseits geht es mir mit Thailand wie anderen Leuten mit Leberwurst oder Schlagsahne. Ich kann nie genug davon kriegen. Nach Bangkok fliege ich immer wieder wahnsinnig gerne.“
„Ist Thailand wirklich so schön?“ fragte Peter Schimmelpfennig.
„Ein Land wie aus dem Märchenbuch“, antwortete Herr Mayer und klappte jetzt seinen Sitz wieder nach vorne. Die Stewardessen kamen nämlich mit dem Abendessen. „ Die paar Stunden Aufenthalt sind natürlich gar nichts. Aber irgend etwas zeige ich dir schon.“
Später, als das Hauptlicht in der Maschine ausgeschaltet war und die meisten Passagiere schliefen, holte Herr Mayer ein Heft mit Kreuzworträtseln aus seinem Jackett. „Stört es dich, wenn meine Leselampe brennt?“ fragte er.
Peter Schimmelpfennig schüttelte den Kopf und lächelte dabei. Er lag in seinem Sitz, den er soweit wie möglich zurückgeschoben hatte, aber er konnte noch nicht schlafen.
Herr Mayer mit Ypsilon schien seine Kreuzworträtsel sehr ernst zu nehmen. Er tippte sich beim Überlegen immer wieder mit seinem Drehbleistift gegen die Nase oder die Lippen. Der dünne Strahl der Leselampe beleuchtete ihn nur schwach. Er hatte ganz weißes Haar und sehr buschige, beinahe schwarze Augenbrauen. Auf Kleidung schien er nicht viel Wert zu legen. Sein Anzug war bestimmt schon seit langer Zeit nicht mehr gebügelt worden.
Von draußen war das regelmäßige Geräusch der
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