Der blinde Passagier
Boden. Irgendwoher kam japanische Musik, und als die Kellner die ersten Getränke serviert hatten, gingen sie wieder rückwärts und mit einer tiefen Verbeugung hinaus.
„Wir wünschen dir einen guten Flug“, sagte Direktor Suzuki und erhob sein Glas mit dem Reiswein. Die übrigen Herren schlossen sich an, und die beiden Jungen nahmen ihren Orangensaft vom Tisch.
„Aber ab morgen trinke ich nur noch Karottensaft“, versicherte Herr Nagase und blickte lächelnd durch seine dicke Hornbrille.
„Sie waren äußerst freundlich zu mir“, sagte jetzt Peter Schimmelpfennig und blickte um den Tisch herum den Herren in ihre Gesichter. „Ich bin Ihnen sehr dankbar.“ Die Herren lächelten, und dann kam das Essen.
„Das Fleisch kommt aus Kobe“, erklärte Direktor Suzuki. „Dort gibt man den Kühen nur Bier als Nahrung, und man massiert sie täglich. Das Kobe-Steak ist eine japanische Spezialität.“
„Indeed, quite excellent“, versicherte Mister Chandler, „es zergeht auf der Zunge wie Butter.“
„Ich bin zufällig in Kobe geboren“, bemerkte Reklamechef Matsumoto bescheiden. Aber es war ihm anzumerken, daß er auf die Idee, Kühe zu massieren, doch sehr stolz war.
Später gingen sie wie Kegelbrüder, die ein wenig angeheitert sind, durch die Straßen zum Hotel.
„Sie müssen mir noch die Adresse von Mister Goldwater geben“, sagte dabei Peter Schimmelpfennig zu Mister Chandler. „Ich möchte ihm schreiben, wenn ich zurück bin. Sie beide haben mir wirklich viel geholfen.“
„Never mind“, sagte Mister Chandler, „war nett, dich kennenzulernen. Blinde Passagiere trifft man nicht alle Tage.“
In der Nacht schlief der Japanerjunge Hiroshi zum ersten Mal in einem Hotel und in einem richtigen Bett. Aber er warf sich immer wieder von der einen Seite auf die andere. „Da gehen auch der gesündesten Katze die Haare aus“, stöhnte er schließlich.
„Wie darf ich das verstehen?“ fragte Peter Schimmelpfennig von seinem Sofa herüber.
„Ich hätte gerne ein Fahrrad“, antwortete Hiroshi, „und meine Mutter braucht eine Waschmaschine. Das ist das Problem.“ Er hatte die Hände hinter dem Kopf und starrte an die Zimmerdecke.
„Manchmal ist das Leben so schwierig“, meinte Peter Schimmelpfennig, „daß es schon polizeiwidrig ist.“ Er starrte jetzt auch an die Decke, und von der Straße her hörte man die Autos.
Der nächste Vormittag verging wie im Flug.
Zuerst packte Peter Schimmelpfennig seine Sachen in die Koffer und in die Segeltuchtasche. Anschließend setzte er sich wieder die Perücke und die Brille auf, um mit Hiroshi und Sola noch einmal über die Ginza zu wandern. Sie machten noch ein paar Fotos und spazierten schließlich zum Warenhaus.
„Paß auf!“ rief Hiroshi plötzlich, als sie an eine Straßenkreuzung kamen. Gleichzeitig packte er Peter Schimmelpfennig am Arm und rannte mit ihm quer über die Straße. Ganz knapp vor einem Auto vorbei, das nicht mehr bremsen konnte.
„Hat dich der Affe gebissen?“ wollte Peter Schimmelpfennig wissen und rückte seine Perücke wieder gerade.
„Das mußte sein“, grinste Hiroshi und japste nach Luft.
„Wenn böse Geister hinter dir her waren — und damit muß man immer rechnen dann sind sie jetzt von dem Auto überfahren und können dir im Flugzeug nicht mehr schaden.“
„Das leuchtet mir ein“, sagte Peter Schimmelpfennig und bedankte sich.
Im Warenhaus DA1MARU standen die Menschen wieder Schlange wie an den ersten zwei Tagen. Direktor Suzuki hielt pünktlich um drei seine Ansprache, und Peter Schimmelpfennig setzte sich wieder einmal auf dem Podium hinter seinen Tisch. Er lächelte und fing damit an, seinen Namen über die farbigen Fotos zu schreiben.
Inzwischen war die schwarze Limousine nun schon zum zweiten Mal zu Familie Uchida unterwegs. Hiroshis Mutter war gerade beim Fensterputzen, als ihr Herr Nagase mit vielen Verbeugungen sagte, daß Direktor Suzuki sie in seinem Warenhaus erwarte. Als sie dort ankam, wurde sie in die Abteilung für Haushaltsgeräte gebracht.
„Ihr Erstgeborener hat Ihnen eine Waschmaschine geschenkt“, lächelte der Warenhausdirektor. „Bitte, wählen Sie selbst!“ Auch Hiroshi wurde jetzt herbeigeholt und mußte sich zusammen mit seiner Mutter vor der ausgesuchten Waschmaschine fotografieren lassen. „Das ist ausgezeichnet“, bemerkte Direktor Suzuki und rieb sich die Hände. „Das geht durch alle Zeitungen.“ Daraufhin drehte er sich blitzschnell zu Hiroshi herum: „Ich weiß,
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