Der blinde Passagier
Räucherkerzen an, und die Gäste verbeugten sich. Zwei hochgewachsene Thais trugen einen großen, vergoldeten Sonnenschirm und hielten ihn ständig über einen jungen Mann in schneeweißer Uniform. Da der junge Mann überall den Vortritt hatte, war er vermutlich dieser Prinz Namburi und König von Tanimpang.
Jedenfalls versuchte Peter Schimmelpfennig, sich so dicht wie möglich an ihn heranzudrängeln. Leider zeigten die Besucher bisher nur ihre Rücken. Aber wenn sie wieder zu ihrem weißen Schiff zurückgingen, mußten sie sich ja endlich umdrehen. Peter Schimmelpfennig hatte an seinem Fotoapparat bereits die richtige Entfernung und die richtige Blende eingestellt.
Und dann war es soweit. Die Gruppe verneigte sich noch einmal, und der vergoldete Sonnenschirm machte die Verneigung mit. Dann lächelte man sich gegenseitig zu, plauderte miteinander und wanderte wieder zurück.
Peter Schimmelpfennig hatte bereits die erste Aufnahme gemacht und blickte gerade zum zweitenmal durch den Sucher, als er plötzlich regelrecht erstarrte. Eine Sekunde lang hätte er nicht einmal den kleinen Finger bewegen können. Aber dann rannte er los. Mit zwei Sprüngen hatte er ein Bananenboot hinter sich und einen Kahn mit lauter Einmachgläsern. Er hechtete förmlich mitten durch einen Pulk amerikanischer Touristen und war beinahe schon an dem ersten weißlackierten Polizistenhelm vorbei. Die Gruppe der Besucher fing gerade an, sich umzudrehen und unruhig zu werden, da spürte Peter Schimmelpfennig einen Schlag gegen sein linkes Schienbein und ein paar Fäuste, die ihm den Arm auf den Rücken drehten.
Was in den nächsten zehn Minuten passierte, blieb für Peter Schimmelpfennig hinter einem weißen Vorhang, der nur ganz selten ein Loch hatte.
Polizisten trugen ihn in eines ihrer Boote, Herr Mayer sprang im letzten Augenblick noch an Bord, und irgendwo an einer Brücke ging es dann von dem Motorboot in ein Auto, das wie ein Lieferwagen aussah. Türen schlugen zu, und es war schwarz und dunkel wie in der Hölle. Dicht über dem Kopf heulte eine Sirene. Anschließend kam ein großer, viereckiger, weißer Fleck. Es stellte sich heraus, daß dieser Fleck ein Hof war, in den die Sonne senkrecht herunterbrannte. Rundherum standen lauter Häuser mit vergitterten Fenstern. Eines von diesen Fenstern wurde immer größer und war plötzlich ganz nah.
„Du sollst deine Hosentaschen nach außen drehen.“ Das waren die ersten Worte, die Peter Schimmelpfennig wieder verstand. Der Vorhang vor seinen Augen verschwand wie Nebel. Er faßte in seine Hosentaschen und drehte sie um.
„Gott sei Dank“, sagte Herr Mayer mit Ypsilon, „du hörst mir wenigstens wieder zu.“
Ein dicker Gefängnisbeamter mit dunkler Haut stand an der Tür. Sein Khakihemd war unter den Armen naß vor Schweiß. Er hatte grüne Augen, und seine Augäpfel schwammen darin wie tote Austern. Er sagte jetzt ein paar Worte. Daraufhin durchsuchte ein junger Polizist zuerst Peters Hemdtaschen und dann das Jackett von Herrn Mayer. Zigaretten und Feuerzeug durfte der Ostasienkorrespondent des Abendblattes behalten und nach langem Verhandeln auch das Kreuzworträtselheft und seinen Drehbleistift. Alles übrige nahm der Dicke mit den Austernaugen an sich und verschwand. Er wirkte müde und irgendwie traurig, vermutlich weil ihm die vielen Menschen leid taten, die noch frei herumliefen. Der junge Thaipolizist nahm seine Maschinenpistole wie einen Regenschirm unter den Arm und grinste. Er machte die dicke Eisentür hinter sich zu, und es war deutlich zu hören, wie er sie von außen verriegelte.
„Prost Mahlzeit“, sagte Herr Mayer mit Ypsilon. Er zündete sich eine Zigarette an und spazierte von einer Wand zur anderen. Das waren jedesmal genau fünf Schritte.
„Was hat der Dicke alles gesagt?“ fragte Peter Schimmelpfennig ziemlich kleinlaut.
„Man wirft uns allerhand vor. Vom groben Unfug bis zum versuchten Attentat. Das wäre weiter nicht schlimm und läßt sich aufklären.“ Herr Mayer zog an seiner Zigarette und blickte durch das Gitterfenster in den leeren Hof. „Aber leider ist heute Samstag, und gerade samstags sollte man sich nicht einsperren lassen. Da sind nämlich alle Leute, die einem vielleicht helfen könnten, im Wochenende. Das bedeutet, daß sich vor Montag nichts tut.“ Er setzte sich auf einen Hocker und blätterte in seinem Kreuzworträtselheft. „Fangen wir also damit an, uns die Zeit zu vertreiben. Wo waren wir stehengeblieben? Ich glaube, bei ,Teil
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