Der blinde Passagier
Fingern und war bereit, zuzuhören.
Die ganze Redaktionskonferenz blickte unwillkürlich zum Lautsprecher, der unter einer runden elektrischen Uhr in die Wand eingelassen war. Und aus diesem Lautsprecher war jetzt als erstes zu hören: „Der Flug war fabelhaft.“
Die Stimme von Peter Schimmelpfennig klang ein wenig verzerrt, und im Hintergrund klickte es manchmal wie in einer Dampfheizung.
„Ich durfte neben dem Kapitän im Cockpit sitzen. Erst als wir den Ozean beinahe hinter uns hatten, mußte ich zum Essen in die Passagierkabine. Und wie geht es dir? Was macht Tante Frieda?“
Dr. Liesegang glaubte einen Augenblick lang, nicht richtig verstanden zu haben. Er nahm seine Zigarre aus dem Mund und stützte sich mit beiden Ellbogen breit auf den Konferenztisch. „Was hast du gesagt?“ fragte er vorsichtig.
„Herr Tavares, der Chef der Agentur, ist übrigens ganz besonders freundlich“, klang jetzt die Stimme aus dem Lautsprecher. „Ich spreche aus seinem Büro und über seinen Apparat. Auch ein brasilianischer Journalist, der ganz ausgezeichnet deutsch spricht, ist bei mir. Wenn du mit ihm sprechen möchtest, er könnte dir alles übersetzen.“
Dr. Liesegang lehnte sich wieder in seinen Sessel zurück. „Das ist wirklich sehr aufmerksam von den Herren, ich meine, daß sie sich so um dich kümmern und dich nicht allein lassen.“ Er machte eine kleine Pause. „Sag mal, glaubst du, daß unser Gespräch irgendwie abgehört werden kann?“
„Nein, Onkel, das glaube ich eigentlich nicht“, sagte die Stimme von Peter Schimmelpfennig. „Übrigens habe ich gerade Geld bekommen. Herzlichen Dank. Ich fahre dann nachher ins Excelsior.“
„Erzähle mir jetzt besser nichts mehr und überlasse das Reden mir! Mich hört man ja nicht“, schlug Dr. Liesegang vor. „Für den Augenblick genügt, daß wir wissen, du bist in Rio gesund angekommen. Und für die erste Ausgabe, die morgen erscheint, haben wir genug Material. Die Fotos sind schon ausgesucht. Im Augenblick überlegen wir uns die Schlagzeile. Du kommst auf die Titelseite, falls dich das interessiert.“
„Fein, Onkel...“
„Mein Vorname ist Alexander“, brummte Dr. Liesegang, „und bei der Agentur habe ich gesagt, daß du mein Neffe bist...“
„Ja, das habe ich von Herrn Tavares schon erfahren dürfen.“
„Ja, und daß du eigentlich nur aus Versehen in Rio gelandet bist. Wegen Nebel und so. Nur damit die Leute nicht mißtrauisch werden. So, und jetzt ist es an der Zeit, daß du zwischendurch wieder einmal etwas Nettes von dir gibst.” „Onkel Alexander, ist das wirklich wahr?“ freute sich die Stimme im Lautsprecher wie auf Kommando. „Großmutter hat ihr Bein nicht mehr im Gips? Seit wann ist es denn raus?“ Die Redakteure, die um den großen Konferenztisch saßen, pafften weiter ihre Rauchwolken in die Luft und schmunzelten dabei.
„Ja, deiner Großmutter und deiner Mutter hab’ ich Bescheid gesagt. Ich war bei euch in der Steinfeldstraße“, sagte Dr. Liesegang. „Morgen um die gleiche Zeit telefonieren wir wieder, und dann kannst du auch mit deiner Mutter sprechen. Ich rufe dich in diesem Hotel Excelsior an. Du mußt es so einrichten, daß nicht wieder irgend jemand um dich herumsitzt. Leider haben die Konsulate heute noch geschlossen. Aber morgen müssen wir dann auch sehen, wie du zu einem Paß kommst, und auch deinen Rückflug müssen wir dann irgendwie organisieren. Und jetzt schlaf dich erst einmal richtig aus und paß auf dich auf! Wie ist das Wetter dort?“
„Eine Affenhitze“, ließ sich Peter Schimmelpfennig vernehmen, „wenn ich mich umdrehe, kann ich übrigens durch das Fenster die halbe Stadt sehen und ein ganzes Stück vom Atlantischen Ozean.“
„Vor unserem Fenster ist es schon dunkel, und zu sehen ist nichts als graue Sauce. Da siehst du, wieviel besser du dran bist.“ Dr. Liesegang versuchte zu lächeln. „Also bis morgen. Und jetzt gib mir noch Herrn Tavares, damit ich ihm ein paar freundliche Worte sage.“
„Bis morgen. Onkel Alexander. Und auch zu Hause schönen Gruß“, tönte die Stimme aus dem Lautsprecher.
Anschließend sagten sich die Herren Tavares und Dr. Liesegang noch einige Höflichkeiten in englischer Sprache. Es hörte sich so an, als würden zwei Botschafter oder zwei Staatsoberhäupter miteinander telefonieren.
Als Dr. Liesegang dann den Hörer wieder auf den Apparat zurückgelegt hatte, dachte er eine ganze Weile über das Telefongespräch nach.
„Der Junge ist nicht auf den
Weitere Kostenlose Bücher