Der blinde Passagier
wiederholte er, seinen Zahnstocher zwischen den Zähnen.
„Please, wait five minutes.“ Peter versuchte, dem dicken Taxifahrer zu erklären, daß er leider keine brasilianischen Cruzeiros in der Tasche habe. Aber hier in diesem Hause würde er Geld bekommen und ihn dann sofort bezahlen.
„You understand?“ fragte Peter noch und ging mit Segeltuchtasche, Fotoapparat und Wintermantel auf das Portal zu.
Das Gebäude Nr. 212 war ein Wolkenkratzer, der nur aus Glas gebaut zu sein schien. Ein paar halbnackte Neger hatten inzwischen große Kübel mit Abfällen zu dem Wagen der Stadtreinigung gekarrt und schütteten sie jetzt aus.
„Ceruchas mias di dores!“ rief der Brasilianer. Von einer Sekunde zur anderen war er gar nicht mehr gut gelaunt und auch gar nicht mehr höflich. Er rannte neben Peter her und schimpfte pausenlos weiter.
Die Agentur hatte ihre Büros in der zweiundzwanzigsten Etage. Das war aus den Schildern zu ersehen, die neben dem Eingang hingen. Peter Schimmelpfennig ging durch die Halle zum Lift. Nach der Hitze im Taxi und auf der Straße wirkte das ganze Gebäude mit seiner Klimaanlage wie ein großer Eisschrank.
Der unrasierte Brasilianer hatte sein Verhalten inzwischen geändert. Er kochte vor Wut. sagte aber kein Wort mehr. Er blieb so dicht hinter Peter wie dessen eigener Schatten.
Als sich die Tür des Lifts schon zu schließen anfing, klemmte sich im letzten Augenblick noch ein jüngerer Mann in einem gelben Hemd und einer langen, weißen Hose durch die Öffnung, die schon ziemlich schmal war.
Er sagte irgend etwas in brasilianischer Sprache und lachte dabei. Aber der dicke Taxifahrer blickte nur weiter grimmig vor sich hin.
Im siebten Stockwerk stieg eine Mulattin zu, die einen Stoß Aktenstücke im Arm hatte. Zwei Etagen später stieg sie aus.
Zwischen dem vierzehnten und fünfzehnten Stockwerk fragte der junge Mann mit dem gelben Hemd und der weißen Hose plötzlich: „Du kommst aus Hamburg?“
Peter Schimmelpfennig bekam einen roten Kopf. „Wieso?“ fragte er schließlich verblüfft. „Ich meine, woher wissen Sie das?“ Es war ja durchaus möglich, daß Kriminalbeamte in Rio de Janeiro gelbe Hemden und weiße Hosen trugen.
Aber der junge Mann lächelte so vergnügt, wie es kein Polizist der Welt fertigbringt, und zeigte auf das kleine Firmenetikett, das in Peters Wintermantel eingenäht war. Der junge Mann hatte schwarzes Haar und war von der Sonne braun gebrannt.
„Ach so“, meinte Peter und versuchte zurückzulächeln. Es gelang ihm nicht besonders gut.
Als die Türen im zweiundzwanzigsten Stockwerk auseinandergingen, stieg Peter Schimmelpfennig zuerst aus dem Lift. Der dicke Taxifahrer blieb dicht neben ihm.
Auch der junge Mann mit den schwarzen Haaren und dem gelben Hemd war aus dem Lift geklettert. „Also auch zur Agentur?“ fragte er. Sein Deutsch hatte einen ausländischen Akzent. „Vielleicht kann ich dir behilflich sein? Ich bin sicher, daß hier kein Mensch Deutsch spricht.“ Dabei hatte er bereits die Tür zu einem großen, hellen Raum geöffnet, in dem ein Angestellter in dunkelblauem Anzug hinter einem Schreibtisch saß.
„Das wäre sehr freundlich“, versicherte Peter. „Ich heiße Schimmelpfennig und soll mich auf den Chefredakteur Liesegang vom ABENDBLATT in Hamburg beziehen.“
Der junge Mann mit dem gelben Hemd kauderwelschte mit dem Angestellten. Als dieser die Namen „Liesegang“ und „Schimmelpfennig“ hörte, lächelte er. Er sagte irgend etwas und griff nach dem Telefon.
„Man erwartet dich wirklich“, übersetzte der schwarzhaarige junge Mann. „Senhor Tavares will sofort informiert werden, wenn du hier auftauchst. Und Senhor Tavares ist hier immerhin der Boß vom Ganzen. Deine Beziehungen scheinen enorm zu sein. Es ist nämlich einfacher, den Kaiser von China zu sprechen. Mein Name ist übrigens Rodrigo Sola. Ich bin freier Journalist, wie man so sagt. Ein sehr freier sogar. Meistens habe ich nämlich nichts zu tun.“
In diesem Augenblick fing der dicke Taxifahrer an zu brüllen, wirbelte die Arme durch die Luft und tat schließlich so, als wolle er sich die eigenen Haare ausreißen.
„Er will jetzt endlich sein Geld, oder er holt die Polizei“, übersetzte der junge Mann namens Rodrigo Sola, und dann ließ er sich erzählen, wofür und weshalb der dicke Brasilianer überhaupt Geld zu bekommen habe. Schließlich holte er ein paar Scheine aus einer Tasche seiner weißen Hose und bezahlte. Aber der Taxifahrer protestierte und
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