Der blinde Passagier
verhindern, daß er mit Peter zusammentrifft“, sagte er. Mit dieser Bemerkung war im Augenblick natürlich nichts zu erreichen. Trotzdem übersetzte er sie auch noch ins Spanische.
„Das läßt sich machen“, erwiderte der Hotelpage Sergio völlig unerwartet. Er blinzelte dem Professor zu und pfiff dabei durch die Finger. Schon kurz darauf tauchten die ersten Jungen seiner Bande auf. Er rollte mit seinen großen Augen und sprach ganz schnell. „Simbora depressa!“ zischte er schließlich und schüttelte ungeduldig seine Hände.
Der junge Herr Sola war vielleicht noch zehn oder zwölf Meter entfernt. Ein paar Schritte weiter, und er würde zu sprechen anfangen. Er lächelte bereits herüber. Da stellten sich ihm plötzlich zwei kleine Burschen in den Weg. Sie hoben ihre Hände und bettelten: „Por amor de Deus! Me de um Dinheirinho!“
Rodrigo beachtete die beiden Straßenjungen zuerst gar nicht. Aber die Burschen wurden aufdringlich. „Por favor, por favor, Senhor! Um Cruzeirinho!“ Jetzt war es schon eine ganze Gruppe, die ihn umringte und keinen Schritt weitergehen ließ. Sie knieten sich vor ihm in den Sand und hängten sich an seine Hosenbeine.
„Senhor! Por amor de Deus! Um Dinheirinho!“
Drüben unter dem Millerschen Sonnenschirm hatte der Hotelpage Sergio inzwischen zu verstehen gegeben, daß er den Jungen aus Hamburg in Sicherheit bringen würde. Jetzt rannte er mit Peter Schimmelpfennig bereits über das letzte Stück Strand zur Avenida Atlantica. Dort verschwanden die beiden zwischen Autos und Passanten.
Rodrigo Sola schimpfte und fluchte. Aber die kleinen Jungen, die ihn umringten und an ihm hingen, ließen sich nicht abschütteln. Sie bettelten freundlich, aber hartnäckig weiter. Er mußte sich Schritt um Schritt weiterkämpfen. Erst als er endlich die beiden Millers unter ihrem Sonnenschirm erreicht hatte, ließen ihn die bettelnden Jungen wieder in Ruhe. Sie verschwanden einer nach dem anderen.
„Estes Garôtos!“ schimpfte Rodrigo noch hinter ihnen her, dann wandte er sich Jimmy und seinem Vater zu.
„Drecksbande“, stellte der Brasilianer fest.
Die beiden Millers lächelten höflich.
„Kennen Sie zufällig den hellblonden Jungen, der gerade noch hier war?“ fragte Rodrigo Sola und klopfte mit dem Zeigefinger an eine Zigarettenpackung.
„We are Americans“, sagten die Millers gleichzeitig.
Der Brasilianer wiederholte seine Frage auf englisch und bot Zigaretten an. Die beiden Millers lehnten dankend ab und versicherten, ein hellblonder Junge sei ihnen nicht aufgefallen.
„Entschuldigen Sie“, sagte Jimmy abschließend, „Sie stehen mir vor der Sonne.“ Er hatte es natürlich in englisch gesagt. Und dabei legte er sich wieder auf den Rücken und in den Sand zurück. Er versprach sich davon eine Wirkung wie etwa am englischen Hof, wenn die Königin mit der Krone nickt, um anzudeuten, daß sie allein sein will.
Peter Schimmelpfennig taucht unter
Sergios Zimmer lag im Dachgeschoß eines Hinterhauses der Rua Bolivar. Es war ziemlich klein, und die Tür ging direkt ins Treppenhaus. Es gab ein Bett mit einem Gestell aus Eisen, einen Tisch und ein Waschbecken mit Wandspiegel. Das schmale Fenster ging bis zum Steinboden und führte zu einem kleinen Balkon, der nur etwa einen Meter breit war. Aber von ihm aus konnte man über Dächer hinweg und an Kaminen vorbei den Himmel sehen und ganz weit unten den Atlantik.
Peter Schimmelpfennig und der kaffeebraune Hotelpage konnten sich gegenseitig nur verständlich machen, indem sie wie Taubstumme mit den Händen redeten. Gelegentlich halfen noch ein paar Brocken Englisch.
Sergio hatte es eilig. Er war nun schon beinahe eine ganze Stunde aus dem Hotel verschwunden. „I’ll lose my job“, klagte er immer wieder.
„Natürlich sollst du meinetwegen nicht deinen Job verlieren.“ Peter Schimmelpfennig sprach deutsch, obgleich er wußte, daß ihn der andere nicht verstand. „Everything is okay and thanks a lot .“
„Wait here“, sagte Sergio noch. „Everything at your service!“ Er breitete die Arme aus wie ein Großgrundbesitzer, der sein ganzes Schloß einschließlich Parkanlagen zur Verfügung stellt. Dann gab er Peter den Zimmerschlüssel, damit er von innen abschließen konnte.
„Nobody is here“, sagte Sergio noch. „You understand?“
„Verstanden“, sagte Peter, „wenn jemand klopft, sage ich, daß niemand zu Hause ist.“ Er grinste, und Sergio trabte zur Treppe. „I’ll lose my job“, murmelte er noch
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