Der blinde Passagier
umzuschauen und ohne zu überlegen. Weil er bei sich zu Hause war. Ganz einfach.“ Der Brasilianer setzte sich auf einen Stuhl. „Den Rest besorgte ein Telefongespräch mit der Personalabteilung des Hotels. Man gab mir die Adresse des Hotelpagen Sergio ohne jede Bedenken. Ich hatte gesagt, die Gewerkschaft für Hotelangestellte sei am Apparat.“
„Hut ab“, meinte Peter Schimmelpfennig, „und jetzt zur Sache. Sie wissen, daß ich mich heute nachmittag mit meinen Freunden beraten wollte. Sie kommen also zu früh. Ich kann Ihnen noch nichts sagen.“
„Ja, deine Freunde!“ Der Brasilianer steckte wieder einmal seine langen Beine mit den weißen Leinenhosen weit ins Zimmer. „Hast du dir eigentlich schon einmal überlegt, daß man auch Freundschaften zu schwer beladen kann? Genauso wie einen Packesel, ein Auto oder einen Fahrstuhl.“ Herr Sola hatte die Hände in den Taschen, und die Zigarette zwischen seinen Zähnen bewegte sich beim Sprechen. „Du erwartest von diesem Jimmy und seinem Vater, daß sie dir sagen, was du jetzt tun sollst. Und wenn du dann wirklich machst, was sie dir vorschlagen, tragen sie die Verantwortung für alles, was passiert. Verlangst du da nicht zuviel von ihnen? Vor allem von dem Professor. Vielleicht drückt ihn die Verantwortung jetzt schon, als müsse er einen Sack Zement durch die Gegend schleppen. Und er sagt es nur nicht. Manchmal können einem auch die besten Freunde nicht helfen. Da muß man ganz allein entscheiden. Weil es für das, was kommt, keinen Garantieschein gibt und weil das Risiko, das man eingeht, kein Streuselkuchen ist, den man stückweise verteilen kann, wie man gerade Lust hat.“
„Da ist etwas Wahres dran“, gab Peter Schimmelpfennig zu.
„Es ist also ganz gut, daß wir unter vier Augen miteinander sprechen, oder?“ fragte Herr Sola.
„Vielleicht...“
„In spätestens einer Viertelstunde bist du sicher“, meinte der Brasilianer. Er federte mit einem Schwung von seinem Stuhl hoch und ging kreuz und quer durchs Zimmer. „Also paß gut auf: Da gibt es hier in Südamerika eine ganze Reihe von großen Fabriken, die alle nur Limonade herstellen. Und diese Limonade heißt BABALU. Du findest sie an jeder Ecke, und man trinkt sie überall. Und weil man in Südamerika wegen der Hitze eigentlich immer Durst hat, trinkt man sie sehr häufig. Die BABALU-Leute verdienen also, was sie wollen.“
„BABALU”, erinnerte sich Peter Schimmelpfennig, „das war doch die Reklame im Autoradio. Die Limonade, die Coca-Cola Konkurrenz machen will.“
„Genau die!“ Der Brasilianer lachte und sang den Werbetext, wie damals die Radiostimme.
Anschließend erzählte Herr Sola, daß sich die Reklameabteilung der BABALU-Limonaden ganz besonders für den jungen „blinden Passagier“ aus Hamburg interessiere. „Und das hat natürlich seinen Grund.“ Der Brasilianer spazierte wieder im Zimmer hin und her. „Südamerika haben die BABALU-Leute in der Tasche. Jetzt wollen sie ihren Markt erweitern und mit ihrer Limonade auch in anderen Ländern Geschäfte machen. Aber das ist gar nicht so einfach. Bevor man eine Ware verkauft, muß man dafür sorgen, daß die Leute von ihr sprechen. Und weil gerade so ziemlich alle Zeitungen in der Welt über dich schreiben, glaubt die Reklameabteilung von BABALU, daß sie im Augenblick mit dir ihre Limonade am besten und schnellsten überall bekannt machen kann. Sie schlägt vor, daß du auf ihre Kosten weiter durch die Gegend fliegst. Als Gegenleistung verlangt sie nur, daß du dich überall da, wo sie ihre BABALU-Limonade gerade neu einführen will, mit einer Flasche oder einem Glas BABALU in der Hand fotografieren läßt. Dabei muß dann natürlich dein Gesicht nur so strahlen. Damit man bestimmt glaubt, es gibt auf der ganzen Welt keinen größeren Genuß als BABALU.“ Rodrigo Sola paffte seinen Zigarettenrauch in die Luft. „Diese Fotos lassen sie dann auf Plakate und in die Zeitungen drucken. Vermutlich mit dem Text: ,Auch der blinde Passagier trinkt nur BABALU’ oder so etwas Ähnliches.“
Peter Schimmelpfennig lachte schallend los. Er hatte Tränen in den Augen, als er fragte: „Und wo soll das passieren?“
„Irgendwo“, entgegnete Rodrigo Sola. „Mehr kann ich dir vorerst nicht sagen. Nicht bevor wir sicher wissen, daß du mitmachst.“ Er guckte auf seine Armbanduhr. „Wann wollen deine Freunde zurückkommen?“
„Wir haben keine Zeit ausgemacht.“
„Sie können also jeden Augenblick hier
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