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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Beine ausgestreckt hatte, zündete sich gerade wieder einmal eine Zigarette an.
    Auf der anderen Seite des Ganges lag quer über zwei Sessel hinweg ein rothaariger Bursche und schlief. In seiner augenblicklichen Lage wurde besonders deutlich, daß er recht dick war. Dabei konnte er nicht viel älter als dreißig Jahre sein. Er hieß übrigens Alain Revon und war von den BABALU-Leuten als Fotograf engagiert. Seine Apparate hatte er in zwei metallbeschlagenen Koffern neben sich am Boden.
    Die Tür zum Cockpit stand offen und klappte in gleichen Abständen immer wieder hin und her. Das Geräusch der Propellermotoren war ziemlich laut. Captain Nelson blickte zu seinem jungen Kopiloten hinüber. Dabei gab er ihm ein Zeichen mit der rechten Hand. Er stellte den Daumen senkrecht über seine Faust, nickte und grinste dabei.
    Der Kopilot, der daraufhin aus seinem Sitz kletterte, war Funker und Navigator in einer Person. Er wirkte zäh und wie ausgetrocknet. Er war groß und schmal. Weil sein Vater aus Rußland gekommen war, hieß er mit Vornamen Ivan. Aber er hatte die dunkelbraune Haut eines Indios und war dem Paß nach Brasilianer.
    Captain Nelson rief irgend etwas nach hinten und lachte dabei. Er mußte es laut rufen, um verstanden zu werden.
    „Wir sollen uns auch einen Whisky geben lassen“, übersetzte Rodrigo Sola. Ivan öffnete bereits eine Eisbox.
    Wieder flogen vom Cockpit her ein paar argentinische Sätze durch den Motorenlärm.
    „Die nächste halbe Stunde könnte ungemütlich werden, meint der Captain“, übersetzte Rodrigo wieder. „Wir müssen jetzt durch ein Gewitter. Mit einer Düsenmaschine hätte man es einfach überflogen. Aber mit einer Dakota sei das leider nicht möglich.“
    Peter Schimmelpfennig bedankte sich. Er habe noch nie Whisky getrunken, ließ er Herrn Sola nach vorn rufen.
    „Dann ist das mit ziemlicher Sicherheit die passende Gelegenheit, um damit anzufangen“, rief der Captain zurück. Schon kam der lange Kopilot mit zwei Gläsern an.
    „Muito obrigado“, bedankte sich Rodrigo Sola und gab einen der zwei Whiskys an Peter weiter. „Vielleicht brauchen wir ihn wirklich noch. Es sieht fast so aus.“ Die Gläser waren nicht sehr sauber, aber dafür bis zum Rand gefüllt. Einen kurzen Augenblick dachte Peter Schimmelpfennig an den flachsblonden Steward Eckelkamp und an den blitzsauberen Service in den Lufthansa-Maschinen.
    Und dann wurde das Flugzeug zum ersten Mal von zwei Böen nach oben gerissen.
    „Anschnallen!“ kommandierte der Flugkapitän, der damit einverstanden war, daß man nur Neco zu ihm sagte. Er trank jetzt einen Schluck aus seinem Whiskyglas, während sich der Kopilot wieder in seinen Sitz klemmte.
    Vor dem Fenster wurde es für den Bruchteil einer Sekunde taghell. So konnte Peter Schimmelpfennig vor den Motoren die Kreise der Propeller sehen und die tiefschwarze Wolkenwand, auf die Neco mit seiner Dakota jetzt direkt zuflog.
    Zuerst empfand Peter Schimmelpfennig das Schaukeln des Flugzeugs beinahe als angenehm. Aber in dem Augenblick, als die Dakota die schwarze Wolkenwand erreicht hatte und in sie hineinstieß, griffen neue Böen nach dem tonnenschweren Flugzeug. Gleichzeitig prasselte Hagelschlag gegen die dicken Scheiben des Cockpits und des Passagierraums. Blitze zuckten durch die Nacht und erhellten immer wieder das brodelnde Gebirge aus dunklen Wolken, das sich über und unter dem Flugzeug und zu beiden Seiten ausgebreitet hatte.
    Captain Nelson saß jetzt ein wenig vorgebeugt und mit den Augen dicht hinter der Scheibe. Die Zeiger der Instrumente im Cockpit vibrierten. Sie sprangen jedesmal mit, wenn das Flugzeug nach oben oder unten geworfen wurde.
    „Nichts als Wolken“, rief Neco durch den Lärm von Motoren und Sturm. „Sie stauen sich an den Bergen, und wir fliegen gerade über den Mato Grosso. Quiet, baby, go on!“ Die letzten Worte hörten sich wieder wie eine Liebeserklärung an, die ein wenig in den Scharnieren knarrt. Sie galten natürlich dem Flugzeug.
    Erst jetzt war der rothaarige Bursche, der drüben quer über den zwei Sesseln lag, aufgewacht. Eine kurze Weile sah er erstaunt und völlig perplex um sich. Dann sprang er hoch. Aber der Sicherheitsgürtel bremste seinen Schwung schon im Ansatz. So blieb er also sitzen und riß erschreckt die Augen auf,
    „Um Himmels willen, was ist denn jetzt los?“
    „Wir fahren ein bißchen Geisterbahn“, sagte Rodrigo Sola grinsend und reichte sein Whiskyglas über den Gang hinüber.
    „Merci“.

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