Der Blutkristall
munteres «Kra, kra» hören. Das mag daran liegen, dass man einer gewissen « Prinzessin » auch gelegentlich den Mund mit Seife auswaschen sollte. Schnell flatterte er auf, als sie mit einem Kissen nach ihm schlug. Vivianne ärgerte sich weniger über seine Worte als über sich selbst. War sie Morgan wirklich blind gefolgt? «Wer hat meine Wohnung beobachtet?»
Ich bin mir nicht sicher. Nabrah gab einen Laut von sich, als seufze er. Ich konnte ihn nicht lesen, er hat einen guten Job gemacht.
«Was soll ich denn tun?» Vivianne sah sich um, als vermute sie heimliche Zeugen ihres Gesprächs. Der Blutkristall ist weg, und wenn Asher das erfährt, dann sperrt er mich in eines der Verliese, die er zweifellos irgendwo in diesem unfreundlichen Schottland unterhält.
Kieran wäre bestimmt entzückt, schließlich hätte er dann recht behalten.
«Wie immer.»
Noch einmal: «Kra, kra.» Aber glaubst du wirklich, du findest den Dieb alleine?
«Mach mir nur Mut!»
Immer gern, mein Herz. Nabrah spreizte sein Gefieder.
«Hör doch mal auf, mich so zu nennen. Arbeitet Morgan wirklich für eine Versicherung?»
Danach sieht er nicht aus, oder?
Vivianne wollte fragen, woher Nabrah so gut Bescheid wusste, aber in diesem Augenblick kehrte Morgan zurück und schickte sich an, die Tür zu schließen, da schoss ein schwarzer Blitz durch den Spalt an ihm vorbei. Pass auf dich auf, mein Herz! Der Vogel tauchte in die Nacht ein, und Vivianne fragte sich, wie lange er dieses Mal verschwunden bleiben würde. Das Tier war so undurchsichtig wie sein Federkleid.
Der Vampir legte den Türhebel um, ließ sich in die Polster fallen, streckte seine langen Beine aus und sah aus dem Fenster, ohne den merkwürdigen Besuch zu kommentieren.
«Wohin fliegen wir?», verlangte Vivianne zu wissen. Keinerlei Reaktion. Freiwillig gab er offenbar nichts preis. Sie übte sich in Geduld, zählte lautlos bis sechzig und bohrte dabei drei tiefe Löcher ins Sitzpolster. Als er immer noch nicht antwortete, klang ihre Stimme ein klein wenig schrill: «Ich will wissen, aus welchem Grund du dieses verdammte Flugzeug gechartert hast. Antworte mir!»
«Wir folgen den Juwelen.»
«Was?» Vivianne wäre aufgesprungen, hätte die Schwerkraft sie nicht ausgerechnet jetzt in ihren Sitz gepresst. Das klumpige Gefühl in ihrem Magen ließ ganz langsam nach. Vivianne versuchte sich unterdessen in ruhiger Logik.
«Was hast du im Bains Douches herausgefunden?»
«Dass sich jemand sehr für den Schmuck deiner Freundin zu interessieren scheint.»
«Ach, was!» Sie dachte an den Unbekannten, der sie im Club so durchdringend angestarrt hatte. «Darauf wäre ich alleine gar nicht gekommen.»
«Warum fragst du dann?», gab Morgan zurück.
Aber eigentlich hatten sie beide keine Lust zu streiten.
Vivianne fühlte sich matt und schloss die Augen. Angst breitete sich in ihren Eingeweiden aus. Angst vor der Zukunft, vor dem Ausgang dieses Abenteuers. Falls etwas aus dem Ruder geriet, würde sie jederzeit ihre Familie um Hilfe bitten können. Doch damit würde sie eingestehen, dass ihre Brüder recht hatten: Dass sie nämlich viel zu jung und viel zu unerfahren war, um ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Eher, so schwor sie sich, würde das Paradies zur Sandwüste werden, als dass sie ihnen die Genugtuung verschaffte, recht zu behalten. Sie musste den Blutkristall einfach wiederfinden. Und dafür würde sie auch die Launen dieses unerfreulichen Vampirs ertragen. Er war – und zur Hölle mit ihm, weil er das genau wusste – augenblicklich ihre einzige Hoffnung.
«Wir sind da.»
Vivianne sprang auf und rieb sich die Augen. Ihre Lider ließen sich kaum öffnen. Wo?, lag ihr auf der Zunge und weil sie sich, wenn auch nur für Sekunden, nicht erinnerte, in einem Flugzeug zu sitzen, konnte dies nur bedeuten, dass sie eingeschlafen war. Schnell sprang sie auf und rempelte beinahe den Piloten an, der seinen Kopf aus der Tür zum Cockpit streckte und sich dabei mit einem respektvollen Lächeln verabschiedete: «Ich hoffe, Sie haben einen angenehmen Aufenthalt, Madame!»
Auf dem Rollfeld konnte man jede Bodenwelle erkennen, so hell wurde es von scheinbar zahllosen Lichtern erleuchtet. Vivianne lief die steile Gangway hinunter und konnte gerade noch vermeiden, in eine besonders große Pfütze zu treten. Immerhin regnete es nicht mehr und der stürmische Wind, der ihr in Paris die Frisur zerzaust hatte, gebärdete sich hier ganz zahm. Sie schob ihre Überlegungen zur aktuellen
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