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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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wird Euch Freude machen.«
    Der Mönch war so dick, dass sich seine Kutte über dem ausladenden Leib spannte. Mit einem breiten Lächeln sah er Hinrik an. »Davon bin ich überzeugt«, sagte er und legte seine Hände auf dessen Schultern. »Lass mich Salomon zitieren: ›Mein Kind, so du willst meine Rede annehmen und meine Gebote bei dir behalten, dass dein Ohr auf |56| Weisheit acht hat und du dein Herz mit Fleiß neigst, alsdann wirst du die Furcht des Herrn verstehen und Gottes Erkenntnis finden. Denn der Herr gibt Weisheit, und aus seinem Munde kommt Erkenntnis und Verstand. Er läßt’s den Aufrichtigen gelingen und beschirmt die Frommen, und behütet die, die Recht tun, und bewahrt den Weg seiner Heiligen. Dann wirst du verstehen Gerechtigkeit und Recht und Frömmigkeit und jeden guten Weg. Weisheit wird in dein Herz eingehen, dass du gerne lernst. Guter Rat wird dich bewahren, und Verstand wird dich behüten, dass du nicht gerätst auf den Weg der Bösen noch unter die verkehrten Schwätzer, die da verlassen die rechte Bahn, dass du nicht gerätst an eines anderen Weib, an eine Fremde, die glatte Worte gibt, und verlässt den Freund ihrer Jugend und vergisst den Bund ihres Gottes, denn . . .‹«
    »Ja, ja, Bruder, ist ja gut«, unterbrach Christian ihn, legte seinerseits die Hände auf die Schultern des Jungen und zog ihn zu sich heran. »Genug der schönen Worte. Euch sollte eines klar sein, Albrecht. Hinrik ist mein Freund. Er steht unter meinem persönlichen Schutz. Ich hoffe, Ihr wisst, was das bedeutet!«
    Hinrik sollte erst sehr viel später verstehen, was Christian mit diesen Worten gemeint hatte. Er sah nur den korpulenten Mönch, vor dem er eine gehörige Portion Respekt hatte, weil er zu jenem kleinen Kreis von Menschen gehörte, die Eingang in die geheime Wissenschaft vom Lesen und Schreiben gefunden hatten und die mit einem so ehrwürdigen und bewundernswerten Kunstwerk wie einem Buch etwas anfangen konnten. Ihm war nicht ganz klar, wozu Bücher gut waren und welchen praktischen Nutzen sie haben sollten – abgesehen davon, dass man darin das Wort des Herrn finden konnte. Ein Buch hatte etwas Mystisches und gehörte einer Welt an, die ihm bisher verschlossen gewesen war. Bücher fand man im Kloster |57| und in den verborgenen Verliesen der Kirchen, nicht aber in den Burgen und Schlössern der Edelleute und schon gar nicht in den Häusern der Bürger. Es hieß, dass noch nicht einmal der König ein Buch besaß. Durch Bruder Albrecht würde er die Möglichkeit erhalten, sich diesem Mysterium zu nähern und vielleicht einige seiner Geheimnisse zu ergründen. Er war entschlossen, hart dafür zu arbeiten. Es musste etwas dran sein an den Büchern, da sie hinter Klostermauern behütet wurden, als wären sie aus purem Gold.
    »Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen«, beruhigte der Mönch ihn und zog Hinrik zu sich hin. »Wir bringen ihm alles bei, was er wissen und können muss, um ein Ritter zu werden. Was allerdings den Umgang mit dem Schwert betrifft . . .«
    »Ich weiß, ich weiß!« Christian war ungeduldig und ließ ihn erneut nicht zu Ende sprechen. »Das ist unsere Aufgabe. Das lernt er auf der Burg.«
    »Dann ist ja alles gesagt. Nun geht mit Gott.«
    Der Mönch führte Hinrik zum Brunnen des Klosters, wo Felix arbeitete, ein schmächtiger, blasser, hohlwangiger Junge mit melancholischen Augen, knochigen Schultern und großen Händen, auf denen die blauen Adern deutlich hervortraten. Vom ersten Augenblick an mochte er diesen Jungen nicht, der deutlich kleiner und offensichtlich jünger war als er und der einen in sich gekehrten Eindruck machte. Er war Knappe, wollte also Ritter werden. Hinrik konnte sich ihn beim besten Willen nicht in einer schweren Rüstung vorstellen und mit einem Schwert in der Hand schon gar nicht. Verwundert fragte er sich, wie ein körperlich derart benachteiligter Junge einen solchen Weg gehen konnte.
    Felix stand ihm ablehnend gegenüber. Er blickte an ihm vorbei, als er ihm die Hand reichte, und seine Mundwinkel |58| zeigten nach unten. Die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Das spürte Hinrik deutlich.
    Mit offener Verachtung brachte der Junge ihn gleich darauf zu dem kurzsichtigen Mönch Franz, der sich in einem nur wenig beleuchteten Raum mit geschliffenen Gläsern vor den Augen tief über ein aufgeschlagenes Buch beugte. Hinrik sah weitere Bücher in einem Regal hinter dem Mönch stehen. Er schätzte, dass es zwanzig waren. Sie erschienen ihm mit ihrem

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