Der Bourne Betrug
gelächelt und zustimmend genickt hatte. Es war sehr wichtig, das war ihr bewusst, dass er glaubte, sie sei in dieser Beziehung ganz auf seiner Linie. Ihr Instinkt
warnte sie, dass er sich sonst von ihr abwenden würde. Tat er das, würde sie bestimmt sterben.
Also spielte sie ihm etwas vor, um selbst überleben zu können. Allmählich lernte sie, damit umzugehen. Sie vergaà natürlich nicht, dass er existierte. Das wäre unmöglich gewesen. Aber sie lernte, die Zeit mit ihm als eine Art Film zu betrachten, in den sie ab und zu ging. In der Zwischenzeit behielt sie diesen Film im Kopf, wie es jeder mit seinen Lieblingsfilmen tut, die man bald wieder zu sehen hofft. Nur so gelang es ihr, ein mehr oder weniger normales Leben zu führen. Aber in ihrem Innersten, in das sie nur selten zu blicken wagte, wusste sie recht gut, dass ein Leben ohne ihn an ihrer Seite nur ein halbes Leben war.
Nun sprach er überhaupt nicht mehr mit ihr, weil sie Soraya hatte entkommen lassen. Auf dem Weg zu und von Besprechungen mit dem DCI ging er an ihrem Schreibtisch vorbei, als sei sie für ihn Luft, und ignorierte die verfärbte Schwellung unter ihrem rechten Backenknochen, die von Sorayas Faust stammte. Das Schlimmste war eingetreten, das Einzige, wovor Anne seit dem Augenblick, in dem sie sich unsterblich in ihn verliebt hatte, Angst gehabt hatte: Sie hatte versagt und ihn enttäuscht.
Sie fragte sich, ob ihr Chef Verteidigungsminister Halliday auf die Schliche gekommen war. Ursprünglich hatte sie das vermutet, aber dann hatte der DCI sie gebeten, einen Termin mit Luther LaValle, dem Geheimdienstzaren des Pentagons, nicht mit Halliday zu vereinbaren. Was hatte er also vor?
Auch Sorayas Schicksal blieb im Ungewissen. War sie geschnappt worden? Ermordet? Das wusste sie nicht, weil Jamil sie von allen Informationen abgeschnitten hatte. Er zog sie nicht mehr ins Vertrauen. Sie durfte sich nicht mehr an seinen sehnigen, wüstenheiÃen Körper drängen. Im Stillen vermutete sie, Soraya lebe noch. Hätte Jamils Zelle sie gefasst, hätte er ihr
bestimmt die Sünde vergeben, ihr die Flucht ermöglicht zu haben. Bei diesem Gedanken lief ihr ein eisiger Schauder den Rücken hinunter. Sorayas Wissen glich einem über ihr hängenden Damoklesschwert. Annes ganzes Leben würde als Lüge enttarnt werden. Sie würde als Komplizin von Terroristen angeklagt und verurteilt werden.
Ein Teil ihres Ichs erledigte die tägliche Routinearbeit. Sie hörte dem Alten zu, wenn er sie zu sich kommen lieÃ; sie formulierte seine Memos und legte sie ihm zur Unterschrift vor. Sie erledigte seine Telefongespräche, plante seine langen Arbeitstage mit geradezu militärischer Präzision. Sie schirmte ihn so wirkungsvoll wie zuvor gegen unerwünschte Anrufer ab. Aber der Rest ihres Ichs war verzweifelt bemüht, eine Möglichkeit zu finden, ihren fatalen Fehler ungeschehen zu machen.
Sie musste Jamil zurückgewinnen. Sie wusste, was sie dafür zu tun hatte. Erlösung konnte viele Formen annehmen, aber nicht für Jamil. Er war Beduine; sein Verstand war in den alten Denkschemata der Wüstenbewohner gefangen. Exil oder Tod â eine andere Wahl gab es nicht. Sie würde Soraya aufspüren müssen. Sorayas Blut an ihren Händen war das Einzige, womit sie ihn zurückgewinnen konnte. Sie würde Soraya selbst liquidieren.
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Bourne kam zu sich. Er versuchte sich zu bewegen, war aber mit Stricken an zwei der Eisenringe auf dem Boden des alten Irrenhauses gefesselt. Ein Mann beugte sich über ihn, ein WeiÃer mit kantigem Kinn und eisgrauen Augen. Er trug eine lederne Pilotenjacke und eine Schirmmütze mit silbernen Pilotenschwingen.
Der Pilot des Geschäftsreiseflugzeugs. Ein Blick genügte, um Bourne zu zeigen, dass er einer dieser Flieger war, die sich für Himmelscowboys hielten.
Er grinste auf Bourne hinunter. »Was machst du hier?« Er sprach sehr schlechtes Arabisch, reagierte damit auf Bournes Verkleidung. »Interessierst dich für meinen Flugplan. Spionierst mir nach.« Er schüttelte übertrieben nachdrücklich den Kopf wie ein Kindermädchen, das seinen Schützling ausschimpft. »Das ist verboten. Kapiert? Ver-bo-ten.« Er schob die Unterlippe vor. »Kapiert?«, wiederholte er auf Englisch.
Er zeigte Bourne den winzigen Peilsender in seiner Hand: »Was zum Teufel ist das, du Schweinehund, ha? Wer zum Teufel bist
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