Der Bourne Betrug
Der felsige Weg war zu uneben für das Fahrrad. Bourne stellte es ab, nahm seinen Rucksack mit und marschierte zu Fuà weiter.
Er sah keine Touristen, kein Personal, überhaupt niemanden. Inzwischen war es allerdings spät geworden; die Abenddämmerung sank herab. Bourne umging das leicht baufällige Hauptgebäude und gelangte so auf einen Weg, der weiter den Hügel hinaufführte. Wie der Lichtpunkt zeigte, hielt Muta ibn Aziz sich in dem kleinen Gebäude unmittelbar vor ihm auf. Hinter den Fensterscheiben brannte Licht.
Als er herankam, setzte der Lichtpunkt sich wieder in Bewegung. Bourne verschwand hinter einer hohen Pinie und beobachtete, wie Fadis Kurier, der eine altmodische Petroleumlaterne trug, das Haus verlieà und zwischen zwei mächtigen Felsblöcken hindurchging und im Dunkel eines Pinienwäldchens verschwand.
Bourne erkundete rasch die nähere Umgebung und vergewisserte sich, dass niemand das Haus beobachtete. SchlieÃlich schlüpfte er durch die zerschrammte Holztür in das kühle Innere des durch Petroleumlampen erhellten Gebäudes. Auf seinem Inselplan war angegeben, hier seien einst gemeingefährliche Irre untergebracht gewesen. Das Haus war weitgehend
ausgeräumt; offenbar wurde es nicht mehr benutzt. Aber die Spuren seiner grausigen Vergangenheit waren noch deutlich sichtbar: In den Steinboden waren überall Eisenringe eingelassen, die vermutlich zur Fesselung gewalttätiger Insassen gedient hatten. Eine offene Tür führte nach links in einen Nebenraum, der bis auf einige Abdeckplanen und verschiedene Gartengeräte leer war.
Er kehrte in den Hauptraum zurück. Vor den Fenstern, die nach Norden zu dem Pinienwäldchen hinausführten, stand ein langer Refektoriumstisch aus dunklem Holz. Auf diesem Tisch, mitten im hellen Oval des Lichts einer Hängelampe, lag ein farbig bedrucktes groÃes Blatt Papier. Als Bourne an den Tisch trat, sah er, dass es sich um eine ICAO-Karte mit einer eingezeichneten Flugroute handelte. Er studierte sie fasziniert. Die Route führte nach Südosten über fast die gesamte Türkei hinweg, über den Süden Armeniens und Aserbeidschans, dann übers Kaspische Meer hinaus, über ein Stück des Irans und diagonal über Afghanistan hinweg bis zur Landung im Westen Pakistans, jenem Bergland knapp jenseits der Grenze, in dem es von Terroristen wimmelte.
Also wollte Fadis Kurier Büyük Ada nicht mit dem Schiff verlassen. Stattdessen würde er einen Privatjet benutzen, der den iranischen Luftraum durchfliegen durfte und genügend Treibstoff an Bord hatte, um die dreieinhalbtausend Kilometer lange Strecke im Nonstopflug zurücklegen zu können.
Bourne sah aus dem Fenster zu dem Pinienwäldchen hinüber, in dem Muta ibn Aziz verschwunden war. Während er sich fragte, wo hier ein für Geschäftsreiseflugzeuge geeigneter Flugplatz liegen mochte, hörte er ein Geräusch. Als er sich umdrehen wollte, explodierten Schmerzen in seinem Hinterkopf. Er glaubte zu fallen. Ihm wurde schwarz vor Augen.
KAPITEL NEUNUNDZWANZIG
Anne hatte Jamil noch nie so zornig erlebt. Er war wütend auf den DCI. Er war wütend auf sie. Er schrie sie nicht an, schlug sie nicht etwa. Er tat etwas weit Schlimmeres: Er ignorierte sie.
Während Anne weiter mechanisch ihre Arbeit tat, litt sie innerlich mit einer Verzweiflung, die sie längst hinter sich gelassen zu haben glaubte. Die Geliebte eines Mannes zu sein erforderte eine gewisse Einstellung, an die man sich erst gewöhnen musste wie an den dumpfen Schmerz eines absterbenden Zahns. Man musste sich damit abfinden, an allen möglichen Tagen ohne seinen Geliebten zu sein: am Geburtstag, am Valentinstag, zu Weihnachten, an dem Tag, an dem man zum ersten Mal mit ihm geschlafen hatte, an dem er erstmals bei einem übernachtet hatte, an dem man erstmals mit ihm im Bett gefrühstückt hatte. Alle diese Dinge blieben einer Geliebten verwehrt.
Anfangs hatte Anne dieses spezielle Alleinsein unerträglich gefunden. Sie hatte versucht, ihn an den Tagen â und in den Nächten! â anzurufen, an denen er nicht bei ihr sein konnte, obwohl sie sich nach ihm sehnte. Bis er ihr freundlich, aber nachdrücklich erklärt hatte, das dürfe sie nicht tun. War er nicht körperlich bei ihr, sollte sie vergessen, dass er überhaupt existierte. Wie sollte das möglich sein?, hatte sie innerlich gejammert, während sie
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